9.2.15



Auf den Spuren einer vergessenen Königin

                                                                                       Für Gude in Dankbarkeit
Im Jahre 2006 konnte der Kaiser-Friedrich-Museums-Verein für die Skulpturensammlung in Berlin aus Pariser Privatbesitz die Statue einer Königin erwerben, von der die Fachwelt bis dahin nichts wusste, die also bisher nie Gegenstand einer kunsthistorischen Untersuchung gewesen ist (Abb. 1-6).[1] Es bedarf keiner großen Kennerschaft um festzustellen, dass es sich um eine hervorragende, französische Figur der Gotik handelt. Doch weiß man nichts über sie, weder über die Herkunft, noch über den ursprünglichen Standort. Sie hat keine spezifischen Attribute, Wappen oder Inschriften. In dieser Situation hilft das Instrumentarium des Historikers kaum weiter, wohl aber verfügt der Kunsthistoriker – wie sich zeigen wird – über Methoden, die weiter helfen.

Steckbrief
Das Material ist ein feiner, fast weißer Kalkstein, der in der Normandie und der Ile-de-France heute noch abgebaut wird..[2] Wahrscheinlich hat man das für Bildwerke besonders geeignete Steinmaterial der königlichen Brüche in Vernon verwendet, einem an der Seine auf halbem Weg zwischen Paris und Rouen gelegenen Ort.[3] Der Stein ist einfach zu brechen und in frischem Zustand leicht mit der Fläche, d.h. einer doppelseitigen Steinaxt, zu hauen. Danach bildet er eine kristalline, wetterfeste Oberfläche.[4] Die Figur scheint jedoch kaum Wind und Wetter ausgesetzt gewesen zu sein. Denn man erkennt noch die Spuren der verwendeten Werkzeuge. Für eine Aufstellung im Inneren spricht auch das kleine Format.
Die kaum einen Meter hohe Skulptur ist auf der Rückseite so bearbeitet, dass sie in eine flache Nische passt. Auf halber Höhe ist eine große, schräge Eintiefung zu sehen, die dazu diente, die Statue auf einem Sporn in der Nische zu verankern. Ihre längsovale Plinthe ist als Grasfläche gestaltet.
Die Dame trägt ein Gebende, d.h. einen mehrfach kunstvoll um Haupt und Kinn gewickelten Schleier und eine achtzackige Königskrone mit zwei abwechselnden Kronlilien-Formen. Die Königin ist in ein einteiliges Kleid und einen pelerinenartig geschürzten Radmantel gehüllt, die den im Kontrapost gegebenen Körper nur erahnen lassen. Die Gewandung ist eine kunstvolle Komposition von Spann- und Hängefalten, die teils von den Formen und Bewegungen der Körperglieder bestimmt werden, teils sich frei entfalten.

Das Baumodell
Die Königin ist nach links geschwungen und präsentiert ein kleines Architekturmodell. Es handelt sich um ein kapellenartiges Gebäude mit nur zwei Jochen, bekrönt von einem Satteldach und einer Maßwerk-Balustrade. Die Seiten sind durch Strebepfeiler und zweibahnige Fenster mit zugespitzten Vierpässen gegliedert. Die Fassade hat ein Portal, darüber eine Vierpass-Rosette. Die dem Portal  gegenüber liegende Seite ist gerade geschlossen mit Fünfpass. Die Architektur derartiger Modelle scheint  wirklichkeitsgetreu zu sein; doch ist ihr zeichenhafter Charakter offenkundig.
Hier bietet sich ein motivgeschichtlicher Vergleich an mit der Statue der Gründerin von Kloster Corbie, Bathilde, und einer Stifterinnenstatue unbekannter Herkunft, ehemals in der Slg. Stoclet in Brüssel.[5] Die Königin in Corbie ist größer als die in Berlin, monumentaler und –  wie sich zeigen wird – älter, die andere ist eleganter und außerdem jünger. Aber eines haben beide gegenüber der Berliner Statue gemeinsam: .dass ihr Baumodell eine größere Kirche darstellt,mit Querhaus und Turm, außerdem mit reicherer Dekoration. Demnach ist auch die Stifterin aus der Slg. Stoclet ebenfalls als eine der heiligen, stiftungsfreudigen merowingischen Königinnen  zu benennen. Aus der Gestalt des Baumodells unserer  Figur ist zu schließen, dass sie ‚nur‘ einen kapellenartigen Bau ohne seitlicheh  Eingang gestiftet hat,

Die fehlende Rahmung
Es fehlt die gesamte, wahrscheinlich sehr aufwändige Rahmenarchitektur mit Sockel und Baldachin, einer von Stabwerk eingefassten und von Maßwerk bekrönten Nische usw. Denn das Mittelalter verstand Statuen nicht als autonome, isolierte Kunstwerke, wie wir sie heute im Museum und im öffentlichen Raum wahrnehmen, sondern als Teil eines übergeordneten Ganzen – Bauglieder wurden zuerst es als Schmuck verstanden (Abb.9). Dieser galt im Alten Europa als wesentlicher Bestandteil jedes Kunstwerks, während ihn heutzutage die meisten für  überflüssiges Beiwerk halten.
Hier zeigt sich ein Wesensunterschied zwischen der Skulptur vor und nach der Wende zur Moderne. Vor der Mitte des 18. Jahrhunderts  waren die Kunstgattungen nicht scharf voneinander getrennt. Die Architekten hatten im Prinzip das Sagen: Sie definierten die Räume und ihr Wandrelief; sie konzipierten die Rahmen für die Kunstwerke und bestimmten den Zierrat. Sie selbst aber wurden als bildende Künstler verstanden, die Bauglieder als anthropomorph, d.h der menschlichen Gestalt verwandt: Die Säule, das vornehmste Bauglied, hatte nach dem Vorbild des menschlichen Körpers einen Fuß, ein Haupt, einen Leib usw. Die Rahmen dieser Epoche sind oft Meisterwerke, gern verbunden mit Motiven der Natur, aber auch mit Inschriften. Sie definierten die Bedeutung des gerahmten Objekts für die Betrachter. Diese Bedeutung ging in der Moderne verloren. Wie wenig man sich nun um diesen Teil der Kunstwerke scherte, zeigt in karikierender Weise die uns unten noch beschäftigende sog. Minnegruppe (Abb.#### 35). In dieser Fälschung aus dem frühen 20. Jahrhundert ist die Säule so formlos und weich wie eine Nudel, das Blattwerk vertrocknet, die Kapitelle schief und krumm, nicht aber geometrisch; und auf Sockel und Baldachin hat der Schlaumeier gleich ganz verzichtet.

Die fehlende Farbe
 Die Erscheinung der Königin wird am stärksten beeinträchtigt durch den Verlust der farbigen Fassung. Von der Erstfassung sind am Rock winzige Spuren von Rot und Gold zu erkennen; doch erlauben größere Reste der Zweitfassung den Schluss, dass diese beiden Farben durch Blau zum Dreiklang der französischen Königsfarben zu ergänzen sind (Abb.9).[6] Der Wechsel der Gegenfarben Rot und Blau in Verbindung mit dem Gold der Säume konnte zu reizvollen kompositorischen und rhythmischen Effekten genutzt werden.[7]
Hier offenbart sich ein weiterer Wesensunterschied zwischen der alten und der modernen Skulptur. Einerseits sind wir in unseren Anschauungen immer noch vom Klassizismus geprägt, der die Farbe an Bildwerken ablehnte. Andererseits sind wir in der Kunst wie im Alltag überflutet von farbigen Reizen: Unsere Welt ist bunt. Die Farben sind allgegenwärtig und flüchtig. Im vorrevolutionären Europa aber waren gute Farben selten und teuer. Farbe hat zudem aus damaliger Sicht eine religiöse und eine symbolische Dimension, die uns weitgehend fremd geworden ist. Sie ist Teil der Schönheit und - wie das Licht - ein Wesenszug Gottes, der Noah nach der Sintflut als vielfarbiger Regenbogen erschien. Sie ist verkörpertes Licht, den Edelsteinen vergleichbar, und gibt uns eine Anschauung von der Herrlichkeit der Himmelswelt. Deshalb wurde sie nur für wenige, wichtige und ranghohe Dinge verwendet. Sie steigert also die Bedeutung der Skulpturen. Deshalb bediente man sich bei der Fassung meistens der besten Pigmente und verwendete aufwändige Techniken. Farbfassung wurde keineswegs nur Hilfskräften überlassen, sondern von Meisterhand mit großer Sorgfalt aufgebracht. Oft war deshalb die Fassung teurer als die Skulptur selbst. Während wir heute in der Regel wenig auf die farbige Bemalung alter Skulpturen wenig achten und sie immer noch mehrheitlich „schwarz-weiß“ sehen, wurde im Mittelalter ihr Fehlen als großer Verlust empfunden.[8]
Ziehen wir ein Zwischen-Fazit unserer Bemühungen: Letztlich ist die Statue der Königin ‚nur‘ Fragment eines untergegangenen Ensembles und eine einsame Zeugin der vielen in den Bilderstürmen der Revolution von 1789-1791 zerstörten Ehrenstatuen der französischen Monarchie, zugleich aber ein Werk, das seine Identität verloren hat. In den folgenden Seiten wird zu prüfen sein, ob es nicht doch Mittel und Wege gibt, das Rätsel wenigstens teilweise zu lösen.

Wo stand die Königin?
Die Statue ist zu groß für eine Aufstellung in häuslichen Zusammenhängen, zu klein für eine Altarfigur. Es ist denkbar, dass vor bzw. bei ihr eine Lampe hing oder Kerzen aufgestellt waren. Doch gibt es keinerlei Spuren kultischer Verehrung, etwa Weihrauchreste oder Schmauchspuren von allzu nah brennenden Kerzen. Auch kann die Öffnung im Rücken nicht als Reliquien-Repositorium bezeichnet werden. dafür ist sie zu groß, unverschließbar und falsch ausgerichtet.[9]
Aus der Neigung und Drehung des Körpers der Königin sowie der Haltung des Baumodells ist zu schließen, dass sie links im Gewände eines Portals oder einer Pforte gestanden hat, d.h. an dem vom Portal aus gesehen rechten, höherrangigen Ort. Wir stoßen hier auf Regeln der Etikette und des Zeremoniells, wonach der Platz zur Rechten der ehrenvollere ist.[10] Doch ist es ungewöhnlich, dass hier die Königin den Ehrenplatz einnimmt, der in der Regel dem König vorbehalten war.[11] Zwar hatte schon Salomon seine Mutter Bathseba durch die Platzierung zu seiner Rechten geehrt; auch wird bei Marienkrönungs-Bildern die Muttergottes meistens auf diese Weise durch Christus, den neuen Salomo, überhöht. Man machte jedoch nur dann eine Ausnahme, wenn die Frau die eigentliche. Auftraggeberin war.[12]
Zu den gesellschaftlichen Regeln gehörte auch, dass eine Königin nicht allein als Stifterin auftrat, selbst wenn das zutraf, sondern in der Regel gemeinsam mit ihrem Gemahl. Ihre Seitwärts-Bewegung könnte sich allerdings auch auf eine heilige Person beziehen. Doch müsste man für diese einen Standort in der Mitte zwischen der Königin und dem König rekonstruieren, denn die Darstellung des Herrschers war unabdingbar.

Wer ist die Königin?
Gesucht wird also eine Herrscherin, die ein Gebäude bzw. eine Institution aus eigenen Mitteln gestiftet hat. Diese Frage kann die Geschichtswissenschaft mit den ihr derzeit zur Verfügung stehenden Quellen und Methoden nicht beantworten. Die Kunstgeschichts-Wissenschaft geht jedoch andere Wege, um zum Ziel zu gelangen. Einer davon ist die Kostüm- und Realienkunde. Sie macht sich zunutze, dass in Europa vor allem seit dem 13. Jahrhundert Zusammensetzung und Zuschnitt der Kleidung häufig geändert wurden. Sie kann aber auch z.B. an der Größe und Form einer Krone feststellen, ob es sich um die Krone einer Königin handelt oder um die einer Prinzessin. Das hilft bei der Eingrenzung der Kandidatinnen.
Die Kostümkunde wird bei dieser Vorgehensweise zur Stilgeschichte, indem sie durch Vergleiche mit datierten und lokalisierten Kronen eine Einordnung in das frühe 14. Jahrhundert vornimmt. Aber auch diese hat gewisse, nur ihr eigentümliche Bedingungen und Grenzen: sie ist besonders erfolgreich bei der Untersuchung von Kopfputz und Ärmeln sowie von Ritterrüstungen  So dürften sich vor allem manche Älteren geweigert haben, sich in der jeweils aktuellsten Mode oder überhaupt modisch gekleidet darstellen zu lassen.
Doch gibt es ein Accessoire der Tracht, das sehr weit verbreitet war, in dieser Form aber nur wenige Jahrzehnte gebrauch wurde und deshalb für die Eingrenzung des Entstehungszeitraums unserer Statue bedeutsam ist, die guimpe, deutsch auch Wimpel genannt, eine nur von verheirateten Frauen höheren Standes getragene Art des Gebendes, einem fest um Kinn und Stirn gebundenen Schleier. Bei dieser Variante wird ein Teil des Haares um die Ohren gebauscht und mit Haarnadeln und Bändern gefestigt, so dass ein eckiger Umriss des Antlitzes entsteht.
Der Modewandel sei an zwei Grabplatten demonstriert (Abb. 11, 12): Die ältere stellt eine Dame des örtlichen Adels in St.-Martin in Attainville (Val-de-Marne) dar: Sie verstarb im Jahre 1285 und trägt dasselbe Gebende wie die Königin. Die Grabplatte der Familie Monts aus dem Jahre 1333 in der Stiftskirche von Champeaux (Seine-et-Marne) hingegen führt die jüngere Form vor, bei der auch der Hals durch einen Schleier bedeckt ist, auf die Haarknoten vor den Ohren aber verzichtet wird.[13] Die noch durch weitere datierte Werke abgesicherte Chronologie schränkt den Gebrauch dieses Modedetails auf die Jahre nach 1280 und vor 1315 ein.[14]

Zur Stilanalyse, Stilgeschichte und Stilkritik der Skulptur um 1300
Diese Methoden gelten als Domäne der Kunstgeschichte par excellence.[15] Jedermann spricht vom Stil der Gotik. Doch wird der Begriff ‚Stil‘wegen seiner Unschärfe und seiner oft allzu pauschalen und falschen Verwendung von vielen Wissenschaftlern abgelehnt.[16] Doch bleibt die Stilanalyse angesichts der Menge anonymer und aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen gelöster Kunstwerke unentbehrlich. Wenn man sie als Untersuchung der Werke im Kontext der Gesamtheit der künstlerischen und gesellschaftlichen Normen und Gepflogenheiten im jeweiligen, örtlich und zeitlich begrenzten Rahmen auffasst, verspricht sie weiterhin reiche Ergebnisse. Um jedoch die stilgeschichtliche Stellung unserer Königin angemessen darzustellen, müsste man zum Vergleich viel mehr Bilder zeigen, als möglich ist. Deshalb ist exemplarisch vorzugehen, wobei viel Material weggelassen werden muss.
Als Beispiele bieten sich die oben behandelten Stifterinnenstatuen an (Abb. 7,8): Die Figur der Bathilde in Corbie steht fest und aufgerichtet da,[17] ihr Umriss ist fest geschlossen, die wenigen großen und plastischen Faltenzüge wirken monumental und passen gut zum herrischen Auftreten der Dame. Ihre überlängte Proportion bezeugt ihre Nähe zu einigen Werken mit manieristischer Tendenz vor allem aus dem 3. Viertel des 13. Jahrhunderts.[18]Die Gleichmäßigkeit und das Volumen der Falten erinnera an die Apostel des Honoratusportals der Amienser Kathedrale, mehr noch an die Engel mit den Passions-Instrumenten der dortigen Südquerhaus-Rückwand.[19]
Dieser harmonisierende Stil entstand in der Spätzeit des 1270 verstorbenen hl. Ludwig. Verglichen mit den um 1242 geschaffenen Aposteln der Sainte-Chapelle und dem Portal der Vierge Dorée ist die Gewandkomposition einfach. Die Faltenkomposition, meist reduziert auf zwei alternierende Schüsseln und einige Diagonalmotive, erhält den Charakter einer normativen Orthodoxie. Ihr Stil entspricht in seiner inneren Einstellung dem Wunsch des heiligen Königs nach Einfachhei, Minderung des Aufwandes sowie Stabilität. So war auch die Regierungsweise von Ludwigs Sohn Philipp III. dem Kühnen, der fortzusetzen versuchte, was sein Vater angefangen hatte, jedoch oft nur halbherzig und mit geringem Innovationsgeist.
Die Statue aus der Slg. Stoclet steht motivisch der Berliner Königin so nahe, dass man von Abhängigkeit sprechen darf. Nur zeigt die Analyse des künstlerischen Umfeldes, dass die Berliner Statue älter ist: das wird z.B. bei dem Vergleich der kaum beachteten Fußzone deutlich: bei der Berliner Skulptur stoßen die Falten auf den Boden auf und knicken knapp darüber auf jeweils eigene Weise um, eine Auffassung, die letztlich auf Figuren wie die Vierge Dorée am Südquerhaus-Trumeau der Amienser Kathedrale zurückgeht. Bei der Stoclet-Madonna hingegen integrieren sich alle Falten, auch die der Fußzone, einem diagonalen Strom, der in den Schwung der Hauptfalten mündet. Diese Figur hat etwas Keckes, ja Herausforderndes; sie ist von der ludovizischen Gesinnung weit entfernt. Die Knopfreihen an ihrem Ärmel belegen ihr Modebewusstsein. Trotz äußerer Ähnlichkeit ist sie das Gegenteil zur würdevollen Bathilde. Sie gehört zu einer Gruppe von Kunstwerken; die zunächst den Stil der Nordquerhausmadonna der Notre Dame in Paris manieristisch abwandeln und mit dem der Elfenbeinmadonna der Sainte-Chapelle verschmelzen, dann aber um 1320 zu einem falten- und bewegungsreichen Stil übergehen, der vor allem schön und elegant sein will.[20]
Unsere Königinnenfigur nimmt eine Zwischenstellung ein:  Sie ist weder so würdevoll, stolz und mächtig, noch so bewegt, elegant,und fast kokett wie die Stoclet-Königin. In der Größe und Blockhaftigkeit, der Einfachheit und Präzision ist sie am ehesten den bald nach 1297 geschaffenen Statued aus St.-Louis in Poissy vergleichbar.
stüm- und Stilgeschichte kommen zu demselben Ergebnis, dass die Figur um 1290-1310 geschaffen wurde. Die beiden älteren, damals noch lebenden Königinwitwen Margarete von Provence, Witwe Ludwigs IX. (†1295) und Maria von Brabant, zweite Gemahlin Philipps III. des Kühnen (†1321) kommen schon wegen ihrer zu geringen Mittel als Stifterinnen kaum infrage.[21] Die zweite Frau Ludwigs X., Klementine von Ungarn (um 1293-1328), und die zweite Gemahlin Karls IV., Maria von Luxemburg ( um 1305-1324) regierten zu kurz bzw. verfügten über zu geringe Einkünfte, um derartige Stiftungen anbahnen zu können. Infrage käme jedoch die Königin Johanna II. von Burgund, erste Gemahlin König Philipps V. des Langen (um 1296-1330), die Stifterin des 1325 gegründeten Collège de Bourgogne. Doch war sie ganz nach Burgund orientiert. Ihr Stiifterinnenbild müsste im übrigen eher aussehen wie die Königinnenstatue der Sammlung Stoclet I(Abb.##).[22]
Schließlich wäre noch Johanna von Evreux (1310-1328, †1371) zu nennen, eine bedeutende Kunstmäzenin, Stifterin einer Kapelle und eines Krankenhauses (infirmerie) bei den Kartäusern in Paris. Das erhaltene Grabmal und ihre anderen Stiftungen sind jedoch an einer viel moderneren Kunstauffassung orientiert.[23]
Von den Königinnen dieser Zeit kommt also ernstlich nur Johanna I. von Frankreich und Navarra infrage. Sie war die Gemahlin Philipps IV. des Schönen, geboren 1273, verheiratet 1284, sie regierte als französische Königin von 1285-1305, Doch bereits 1284 war sie Königin von Navarra, Pfalzgräfin der Brie und der Champagne. Nach acht Geburten starb sie im Jahre 1305. Sie stiftete das Hospital in Château-Thierry und in Paris das Collège de Navarre, das zweitgrößte der Pariser Universität.
Das entscheidende Argument liefert die Stilkritik. Mit ihrer Hilfe kann man feststellen, dass die Figur zwischen 1290 und 1310 entstanden ist.
Die Lokalisierung fällt so leicht, dass sie nicht näher erörtert zu werden braucht. Bezüglich der Meisterfrage ist immerhin festzustellen, dass es im Louvre in Paris den Kopf einer Marienfigur aus der aufgehobenen Pariser Pfarrkirche St.-Martin-aux-Boeufs in Paris gibt (Abb. 13A), der so ähnlich ist, dass man ihn dem Bildhauer der Königin zuschreiben kann.[24] Die persönliche Handschrift zeigt sich vor allem an eher nebensächlichen, also den mit Routine gearbeiteten Partien, wie den Haaren und dort wiederum bei einem Detail, wie dem zugespitzten Inneren der Ohrenwelle, weniger in den sorgfältig typisierten Gesichtszügen. Doch ist die Frage nach der Person des Künstlers bei einem so stark idealisierenden und normorientierten Stil nicht so wichtig. Entscheidend ist vielmehr, dass mittels der Kostümkunde und der Stilkritik den Historikern die Tür geöffnet und es so möglich wird, uns über diese vergessene Königin mehr Aufschlüsse zu verschaffen.

Johanna I. von Navarra
Johanna wurde 1273 als einziges Kind der Blanche von Artois und König Heinrichs I. von Navarra – d.h. dem Baskenland – geboren. Ihr Vater war Heinrich III., Graf der Champagne. Er hatte die Königskrone von Navarra erworben, starb aber schon ein Jahr nach ihrer Geburt. Johanna kam an den Pariser Königshof, wo sie zusammen mit dem zukünftigen König Frankreichs, Philipp IV. dem Schönen (Philippe le Bel, 1268-1314) aufwuchs.[25] Mit dreizehn Jahren heiratete sie ihn und brachte ihm als Alleinerbin die Grafschaft Champagne und das Königreich Navarra in die Ehe. Die Vermählung bedurfte des kirchlichen Dispenses, denn Johanna war als Urenkelin König Ludwigs VIII. mit Philipp zu eng verwandt. Das Paar hatte acht Kinder, u.a. die Könige Ludwig X. (gen. Hutin, d.h. Zänker, † 1316), Philipp V. (gen. le Long †1322) und Karl IV. der Schöne (†1328); ihre Tochter Isabella († 1358) heiratete Eduard II. von England (†1327). Die anderen vier Kinder starben, bevor sie volljährig waren. Die Königin selbst verschied schon im Jahre 1305 mit nur 33 Jahren und wurde in der Pariser Franziskanerkirche beigesetzt (Abb. 14), wogegen die Mönche von St.-Denis protestierten, weil sie ihr Monopol als Begräbnisstätte der königlichen Familie bedroht sahen. Kirche und Grabmal wurden in der Französischen Revolution zerstört, das Grabmal zuvor anscheinend nicht dokumentiert.[26]
Die Grafen der Champagne zählten im 12. und 13. Jahrhundert zu den größten Konkurrenten der französischen Könige. Durch die Einverleibung dieser Territorien wurde deren Machtbasis erheblich erweitert. Die Königin regierte zeitlebens ihre Länder selbst. Sie führte im Jahre 1297 sogar persönlich Truppen gegen den aufständischen Grafen von Bar ins Feld, da ihr Gemahl auf den flandrischen Kriegsschauplätzen unabkömmlich war, und besiegte den Grafen bei Commines. Leider hat das 19. Jahrhundert aus seiner frauenfeindlichen Einstellung heraus Johanna wie die meisten Königinnen vernachlässigt. Wir wissen zu wenig über ihre Persönlichkeit, ihre Handlungen und ihre Bedeutung. Gemessen an der reichen Literatur über ihren Gemahl[27] wurde über sie so gut wie nichts geschrieben.[28]

Das Kollegium von Navarra
Die Königin war durch ihre Einkünfte aus der Champagne reich. Sie engagierte sich karitativ und gründete u.a. aus eigenen Mitteln das Hospital in Château-Thierry. In ihrem Testament verteilte sie 40.000 £,[29] vor allem an ihre Bediensteten sowie an die Franziskaner, die sie besonders schätzte und deren Niederlassungen in Paris und in der Champagne sie reichlich bedachte.[30] Aus diesem Orden erwählte sie auch ihre Beichtväter. Einer von ihnen, Durand de Champagne, verfasste für sie den „Speculum dominarum“ (Miroir des dames), den frühesten Fürstinnenspiegel überhaupt.[31] In Meaux wurde sie als großzügige Förderin des Kathedralneubaus gefeiert.[32] Doch die Krönung ihres Stiftungswerkes war die Gründung, Errichtung und Ausstattung des Collège de Navarre für 70 Studenten, des zweitgrößten Kollegiums der Pariser Universität (Abb. 15, 16 ). Die Königin folgte hierin nach ihrer eigenen Aussage dem Vorbild der Königin von Saba (III Könige, 10), womit sie gleichsam nebenbei ihren Gemahl zum Neuen Salomo erklärte. Sie stiftete dafür ihren Pariser Stadtpalast in der Rue St.-André-des-Arts im Quartier Latin; doch errichtete man den Neubau schließlich an einem anderen Ort, bei der heutigen Rue Descartes. Das Kolleg wurde aufgrund der reichen Stiftungsmittel zu einem der angesehensten der Pariser Universität.[33] Seine Kapelle wählte man zum offiziellen Versammlungsort der Studenten und Lehrer der französischen Nation an der Sorbonne.
Die Königin hatte auf schnelle Errichtung der Baulichkeiten gedrängt. 1305 begann der Kollegbetrieb. 1309 zogen die ersten Studenten ein. Es muss zu diesem Zeitpunkt also schon Schlafräume und Hörsäle gegeben haben. Für die großzügig bemessenen Neubauten der Kapelle und der übrigen Gebäude wurde 1309 der Grundstein gelegt.[34] 1315 waren sie vollendet. Die Weihe erfolgte jedoch erst 1373. Damals wurde die folgende Inschrift in die Kapellenwand eingemeißelt: „EN L’HONNEUR DE LA SAINTE TRINITE, DE LA VICTORIEUSE CROIX DU CHRIST ET DE LA GLORIEUSE VIERGE MARIE SOUS LE VOCABLE DU BIENHEUREUX LOUIS ROI DE FRANCE ET DE LA BIENHEUREUSE CATHERINE VIERGE. (Zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit, des siegreichen Kreuzes Christi und der ruhmreichen Jungfrau Maria unter dem Titel des seligen Ludwig, Königs von Frankreich, und der Jungfrau Katharina). Die Statuen an der Fassade zur Straße (Abb. 7, 18) hatten in einem Rahmen aus der Zeit des Übergangs von der Spätgotik zur Renaissance im frühen 16. Jahrhundert die Inschrift: IOANNA FRANCIAE ET NAVARRAE REGINA CAMPANIAE BRIEQUE COMES PALATINA HAS AEDES FUNDAVIT 1304 (Johanna, Königin von Frankreich und Navarra, hat diese Gebäude gegründet im Jahre 1304).
Die Kapelle war mit 47,7 m Länge, 12,50 m Breite und 15 m Höhe eine der größten in Paris. Sie war einschiffig, mit einer Holztonne überwölbt und hatte ein Chorpolygon
über 3/8, fünf Altäre und einen Lettner. Der Raum war anscheinend sehr geeignet für Predigten.[35] Auf dem Satteldach stand ein Dachreiter. Das Portal war gerahmt von zwei oktogonalen Treppentürmen. Architekt war sehr wahrscheinlich der in der Gedenkinschrift der Grundsteinlegung genannte Pierre de Varinfroy (Petrus de Valle Reinfredi latomus). Da der wohl wichtigste Testamentsvollstrecker und engagierteste Betreiber der Errichtung des Kollegs, Simon Festu, Bischof von Meaux war,[36] dürfte es sich bei dem Steinmetzen Pierre um einen Sohn handeln, vielleicht auch einen Enkel des Kathedralbaumeisters von Meaux, Gautier de Varinfroy.[37] Es ist naheliegend, dass der Bischof einen erprobten Meister aus seiner Dombauhütte zu Rate zog. Doch ist auch daran zu erinnern, dass Meaux zum Herrschaftsgebiet Johannas gehörte und dass sie wohl erheblich zum Neubau der Kathedrale beigetragen hat. Dass sich keinerlei formale oder motivische Verwandtschaft zwischen der Kapelle und der Kathedrale zeigt, ist schon wegen der Unterschiedlichkeit der Aufgaben zu erwarten.[38]
Es wird immer wieder behauptet, die Kapelle des Kollegs beziehe sich auf die Sainte-Chapelle. Das halte ich für verfehlt. Weder am Außenbau noch in der Fassade, noch im Detail gibt es irgendwelche Bezüge.[39] Engere Verwandtschaft besteht vielmehr zu Profanbauten dieser Zeit, wie der Grande Salle des von König Philipp dem Schönen errichteten Palastes der Conciergerie in Paris sowie zu kirchlichen Bauten von eingeschränkter Sakralität, wie dem Hauptsaal des Hospitals in Tonnerre (Yonne; Abb. 17), einer Stiftung der Margarete von Burgund, der Witwe König Karls I. von Anjou aus dem Jahre.1293.[40]
Man hat sich daran gewöhnt, die Geschichte der gotischen Baukunst seit ihrer Entstehung in der Mitte des 12. Jahrhunderts als einen Prozess der Bereicherung und Steigerung zu beschreiben und hat dabei übersehen, dass es zu jeder Zeit neben den ehrgeizigen Kathedralen und Hofkapellen Bauten in verschiedenen, genau bedachten Graden der Abstufung gibt, gerade auch von hochrangigen Auftraggebern,nic hat nur die gewollt einfache Bettelordens-Architektur. Die zahlreichen einfachen Bauten blieben jedoch nur selten erhalten. Manche Autoren meinen, man könne die Ste.-Chapelle und die Kapelle des Kollegiums von Navarra nicht unter demselben Begriff der Hofkunst fassen, weil sie so verschieden aussähen.[41] Das Gegenteil ist richtig: Es wäre sehr zu verwundern, wenn die beiden Bauten einander gleichen würden, da sie so unterschiedlichen Zwecken und Ansprüchen zu dienen hatten. Sähen sie gleich aus, wäre das Gebot der Angemessenheit verletzt. Robert Branners These, der Stil des gothique rayonnant, zu dem u.a. die Ste.-Chapelle und die Querhäuser von Notre-Dame gehören, seien der Hofstil des hl. Ludwig,[42] ist zumindest zu ergänzen: Denn seine Gestaltungsweise entspricht dem ‚hohen‘ bzw. ‘geblümten‘ Stil (stilus grandis) der aus der antiken Rhetoriklehre übernommenen Unterscheidung von Stillagen.[43] Die Bettelordenskirchen und verwandte Aufgaben hingegen sind im einfachen bzw. niederen Stil (stilus humilis) gestaltet. [44] Philipp IV. wiederum folgt darin dem von ihm so sehr verehrten Großvater, indem er das zentrale Heiligtum des Ludwigskultes, die Dominikanerinnenkirche St.-Louis in Poissy, in reichen Rayonnant-Formen, also im stilus grandis bzw. großartigen Stil errichten lässt, das Kolleg von Navarra aber im stilus humilis bzw. einfachen Stil. Man mag diese Begriffe akzeptieren oder nicht – entscheidend ist zu verstehen, dass die weitverbreitete Vorstellung, eine Epoche habe – gleichsam von Natur aus und ohne Bewusstsein davon – einen einheitlichen Stil, unhaltbar ist. Nur als bewusste Entscheidung von Philipps allmächtigem Minister Enguerran de Marigny ist es zu verstehen, seine Stiftskirche in Ecouis im einfachen königlichen Stil des Kollegs von Navarra zu bauen, mit Holztonne statt mit Steingewölben und mit nackten Wänden statt reich profilierten Diensten. Deshalb hat er auch den Bauschmuck karg gehalten.[45]

Bildnisse der Königin
Die Statue wie die anderen Abbilder der Königin können nicht im heutigen Sinne als Porträts, das heißt als genaue Wiedergaben der individuellen Erscheinung einer Person, bezeichnet wurden. In der Anfangszeit des Porträts um 1300 werden nur einige Männer, meist Amtsträger, unterschiedlich charakterisiert. Dabei ging es weniger um die Wiedergabe des Individuums, sondern um die von Bedeutung. Hingegen sind Frauen in der Regel nur schön, idealisiert und gleich jung.[46] Es ging bei ihnen bis zum späten 15. Jahrhundert nie um ihre individuelle Erscheinung, sondern immer um ihre Darstellung gemäß dem Schönheitsideal. Doch wurde der Typus je nach Generation und Region anders gestaltet.
Über die Statue der Johanna, die am Portal des Kollegs – nicht an dem der Kapelle – gestanden hat, informiert uns eine Zeichnung des späten 17. Jahrhunderts (Abb. 18). Diese Figur ist nicht identisch mit der Berliner Skulptur. Im Gegensatz zu ihr ist sie mehr als lebensgroß; auch das Gebäude in ihren Händen unterscheidet sich und wird anders gehalten. Vor allem lehrt uns der oben durchgeführte Vergleich der Gebende, dass unsere Figur eine ältere Haubenform zeigt (Abb. 10, 11). Es gab im Kolleg mindestens zwei Statuen der Königin, wahrscheinlich aber noch mehr:[47] Am Trumeau der Kapelle stand der hl. Ludwig mit der Inschrift: LUDOVICUS DECUS REGNANTIUM – Ludwig, Zierde der Regierenden; zur Rechten, also in der Ehrenposition, die Königin: JOANNA FRANCIAE AC ETIAM NAVARRAE REGINA; HUIUS DOMUS FUNDATRIX INCLYTA [oder: HAS AEDES FUNDAVIT] ANNO DOMINI MCCCIV – Johanna, Königin von Frankreich und auch Navarra, die gnädige Gründerin dieses Hauses im Jahre des Herren 1304; zur Linken: PHILIPPUS PULCHER [FRANCORUM REX CHRISTIANISSIMUS IOANNAE MARITUS] HUIUS DOMUS FUNDATOR EGREGIUS – Philipp der Schöne, christlichster König der Franken, Gemahl der Johanna, hervorragender Gründer dieses Hauses.[48]
Eine andere Zeichnung nach einer mittelalterlichen Vorlage gibt sich laut Unterschrift als Porträt der Königin, doch beweist schon die Art der modischen Gewandung, dass es sich um die eine Generation jüngere Königin Johanna II. von Navarra handelt (1312-1349, Abb. 19). Sie war die Tochter Ludwigs X. und der Margarete von Burgund und damit die Enkelin Johannas I. Verheiratet war sie mit Philipp III. von Evreux. Ihr schönes Stundenbuch in der Bibliothèque nationale de France in Paris zeigt dieselbe modische Gewandung wie der Stich – damit wird der Fehler der Identifizierung offenkundig.[49]
Die Berliner Statue wurde wahrscheinlich für das Kolleg, und zwar schon zu Beginn der Bauarbeiten um 1305 geschaffen, gemäß der Gewohnheit damaliger Bauhütten, Bauskulptur bald nach Festlegung des Bauplans zu beginnen, wennl sie mit dem aufgehenden Mauerwerk versetzt wurden, da ihre Ausführung mehr Zeit benötigte und der Bauschmuck fertig sein musste, wenn man die Portalarchitektur errichtete. Wurden die Pläne geändert, passten die die Skulpturen oft nicht mehr passten. Z.B. sind am südlichen Westportal des Straßburger Münsters mindestens zwei Planwechsel abzulesen, weil jeweils Skulpturen im Voraus fertiggestellt waren (Abb. 20). Von einem ersten kosmologischen Programm nach Art des nördlichen ‚Westportals der Notre Dame in Paris finden sich Reste eines Monatsarbeiten-Zyklus unter den Gewändestatuen. Das Programm wurde jedoch wahrscheinlich nach der Übernahme der Bauträgerschaft durch die Bürger zwischen 1282 und 1286 verworfen und durch den moralisierenden Zyklus der Klugen und Törichten Jungfrauen ersetzt. Auch diesmal wurde sofort mit der Anfertigung der figürlichen Teile begonnen. Ehe die vorgesehenen zwölf Statuen vollendet waren, hatten die Auftraggeber wiederum ihre Pläne geändert: Die Fassade mitsamt den Portalen erhielt einen neuen Grund- und Aufriss.[50] Die Portale wurden weniger tief, wuchsen dafür mehr in die Höhe. Die bereits fertigen Figuren fanden keinen ausreichenden Platz mehr in den Portalgewänden. Deshalb wich man auf die Stirnseiten der Strebepfeiler aus. Außerdem waren sie zu klein. Man half sich damit, sie auf die nutzlos gewordenen Sockelblocks mit den Bildern der Monatsarbeiten aus der ersten Programmplanung zu stellen, was inhaltlich wenig Sinn macht.
Wie oben angedeutet, setzt die Berliner Königin das Vorhandensein mindestens einer zweiten Figur gegenüber voraus, auf die sie sich bezieht, höchst wahrscheinlich König Philipp IV. Sie ist zu klein für eine Aufstellung im öffentlichen Bereich, sondern dürfte an der Tür eines Refektoriums oder Dormitoriums aufgestellt gewesen sein. Sonst hätte sie wohl kaum den antimonarchischen Bildersturm der Französischen Revolution von 1789-1791 überstanden.
Sie trägt die von König Philipp II. Augustus (reg. 1180-1223) eingeführte königliche Tracht. Dieser König hatte sich gegen den Luxus der damaligen Mode empört und Wolltücher statt Seide durchgesetzt sowie die Gewandung vereinfacht. Sie bestand seitdem für die herrschenden Kreise aus einem einteiligen, gegürteten Kleid (cotte), das bei den Männern kürzer war und nicht den Boden berührte, sowie bei Bedarf einem Überrock (surcot); dazu kam ein halbkreisförmiger Radmantel, der mit einer Tassel zusammengehalten wurde. Verheiratete Frauen trugen ein Gebende bzw. einen Schleier.[51] Dies offizielle Tracht wurde u.a. auch für Marienbilder benutzt.[52]

Die Gewandgestaltung der Gotik
Die Gewandgestaltung stand für die Bildhauer der Gotik im Zentrum ihrer Bemühungen, Bekleidung wurde jedoch von der damaligen Gesellschaft überhaupt viel wichtiger genommen und mehr beachtet, als wir uns vorstellen können. Oft wurden Unsummen dafür verschwendet. Das Gewand, seine Muster und Farben sowie der applizierte Schmuck waren das zentrale Medium der Repräsentation. Es gab Kleidungsstücke, die nur zu bestimmten Anlässen getragen wurden, etwa bei Hoftagen oder Beerdigungen. Kleidung war in hohem Maße genormt und Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Deshalb achtete man streng darauf, dass die Menschen bei ihrer jeweiligen Standestracht blieben und sich nicht anmaßten, Gewänder der höher Stehenden zu tragen. Es gab zudem spezielle Amtstrachten und Livreen, die von den Herrschaften geliefert wurden.
Kleidung in der Kunst ist also primär Bedeutungsträger: sie ist aber auch Ausdrucksmittel; die Faltenzüge führen das Auge zu den bedeutsamsten Teilen der Figur. Zugleich überführt das Gewand Gestalt und Bewegung des Körpers in ein neues Medium und wird zu einer Art virtuos gestalteter, belebter Fassade, die nur Teile des dahinter befindlichen Körpers widerspiegelt. Die Faltengehänge mit ihren Saumkoloraturen wurden zum rahmenden und auszeichnenden Ornament. Die Gewandfalten bilden ein präzises Formensystem, das zwar auf Naturbeobachtung beruht, aber doch nicht naturalistisch ist, sondern eine Erfindung der Kunst. Die Künstler gestalteten die Falten so, dass durch sie Bewegung, Richtung, Rhythmus und Ausdruck entstehen. Sie entwarfen einen Kanon von Motiven und Motivkombinationen, der es ihnen erlaubte, Figuren in immer neuen Varianten zu komponieren und doch miteinander verwandt erscheinen zu lassen.
Diese Kunst des Faltenwurfs wurde vor allem an Statuen der Muttergottes mit dem Kind entwickelt. Da nach christlicher Auffassung Gott in der Jungfrau Maria Mensch geworden ist, lag es nahe, ihn sowohl überirdisch und idealistisch, als auch körperlich und naturgetreu zu gestalten. Die Lehre von den zwei Naturen Christi, der göttlichen und der menschlichen, wird kaum irgendwo so deutlich thematisiert wie bei Marienbildern. Sie wurden zur führenden Aufgabe, die den Künstlern das Höchste abverlangte.[53]

Skulptur und Geometrie
Einer der künstlerischen Leitsätze der Epoche entstammt der Bibel: „Omnia in mensura et numeris et pondere disposuisti – Du hast alles nach Maß und Zahl und Gewicht geordnet“ (Weisheit Salomos 11, 21). Man verstand dies als Aufforderung zur Untersuchung der Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen auf die ihnen zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten, Proportionen und Strukturen. Diese Anschauungen setzte man auch bei der Gestaltung um. Man definierte Module, d.h. durch Proportionsregeln bestimmte Maßeinheiten: So diente die Höhe des Kopfes als Modul zur Festlegung der Körpergröße, wobei nicht festgeschrieben war, ob die Figur aus fünf, sechs oder mehr Einheiten gebildet wurde. Dass ein derartiger Umgang mit den Proportionen nicht erst seit der Renaissance stattfand und auch nicht - wie oft behauptet - auf Spekulation beruht, belegen Ritzlinien auf der Rückseite einiger Engelsstatuen aus St.-Louis in Poissy, die die Mittelachse festlegen und die Figur in drei Teile gliedern.[54]
Als Modul der Höhe und Breite des Gesichtes bzw. des Kopfes wurde gern die Stirnhöhe bzw. der Abstand von der Kinn- zur Nasenspitze genommen: Für das Gesicht verwendete man gern drei Maßeinheiten in der Länge und zwei in der Breite, doch gibt es auch andere Modelle und Methoden der Proportionsbestimmung. Auch Sitz und Gestalt der Gesichtszüge folgen geometrischen Mustern. Die Kopfform der Königin ist geometrisch komplexer: Bei ihr verbindet sich ein Umriss in Form eines Kreises mit einem auf der Spitze stehenden Quadrat und deutet dadurch eine Kreuzform an. Alle Formen sind bis in die Einzelheiten regularisiert. Keine Epoche der europäischen Kunst hat sich so intensiv um die geometrische und arithmetische Normierung bemüht wie die Gotik.[55]

Die Ansichtsseiten
In der Regel gestaltete man im 13. Jahrhundert die Sockelplatten der Statuen als Achteck, zuweilen auch als Kreis. Im Zuge der durch König Philipp IV. und seine juristischen Berater formulierten Idee, dass die französische Monarchie gottgewollt sei und der König weder Papst noch Kaiser über sich habe, ging man im späten 13. Jahrhundert dazu über, bei Marienfiguren die vielfältigen Gesten der rechten Hand ausnahmslos durch das Halten eines Zepters nach königlicher Art zu ersetzen und zudem – entsprechend dem Verhalten König Philipps des Schönen in der Öffentlichkeit – die Frontalität und Distanz der Figur zum Betrachter zu betonen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Neuerung, die Plinthen in die Breite zu ziehen. Auf diese Weise lässt sich leicht die Hauptansicht feststellen. Die Königin hat zwei Hauptansichten. Sie bilden gleichsam eine Erzählung. Die Abb. 2 zeigt die Hauptansicht von links, die sich ergibt, wenn man vor der Portalwand steht. Durch die schwungvolle Bewegung der Königin zum Architekturmodell hin wird die Stiftung des Kollegs betont. Die Abb. 3 zeigt die zweite Hauptansicht, die sich ergibt, wenn man sich frontal zur Schräge des Gewändes stellt. Aus dieser Sicht erscheint die Königin frontal; sie spricht uns an und fordert uns auf, ein Gebet für ihr Seelenheil zu sprechen. Dies ist die eigentliche Hauptansicht der Figur, die alle Motive am besten zur Geltung kommen lässt.[56] Ein älteres Beispiel des Typus ist die oben besprochene Statue der hl. Bathilde in Corbie (Abb. 13). [57] Sie stammt wahrscheinlich vom 1273 datierten Kreuzgangportal und hat wie unsere Königin zwei Ansichtsseiten, doch ist nur die eine – der Blick frontal auf das Gewände – fotografisch dokumentiert. Auch sie stand im heraldisch rechten Gewände eines Portals und rahmte zusammen mit ihrem Sohn, König Chlotar III., dem Mitbegründer des Klosters, eine Statue der Muttergottes mit Kind am Mittelpfosten sowie Petrus und Paulus im Gewände innen.

Die Geste
Auffällig an der Königin ist die Geste des rechten Armes. Man wird sie auf den ersten Blick als Halten des Gebäudes deuten. Sie wirkt als solche jedoch nicht völlig überzeugend, da man ein derartiges Gebilde besser auf zwei Händen trägt, wie auf Abb.18. Sinn und Bedeutung werden jedoch deutlich, wenn man erkennt, dass in diesem Motiv die Nordquerhaus-Madonna von Notre-Dame in Paris zitiert wird (Abb. 21). Das ist jedoch weniger eine Übernahme der Form, sondern eine der Bedeutung.[58]
Gebärden haben in der heutigen Gesellschaft bis auf wenige, meist beleidigende oder obszöne Aktionen an Bedeutung verloren, im nordalpinen Europa mehr als im Süden. Heftiges Gestikulieren signalisiert heute eher Erregung im Allgemeinen, ohne spezielle Bedeutung.[59] Wie das 13. Jahrhundert darüber dachte, hat Thomas von Aquin mit der ihm eigenen Klarheit und Prägnanz ausgesprochen: „Weil Leib und Seele eine Einheit bilden, besteht die Möglichkeit, an Bewegungen des Körpers Bewegungen der Seele abzulesen, aus dem Gesicht einen Spiegel des Herzens zu machen und die Haltung des Körpers als Zeichen der Gesinnung zu betrachten“, und an anderer Stelle über die Gebetsgebärden: „Die äußeren Gesten der Anbetung sind Zeichen einer inneren Verehrung, damit durch die Zeichen der Demut, die wir körperlich hervorrufen, unser Gefühl angestachelt wird, sich Gott zu unterwerfen, weil es in unserer Natur liegt, dass wir vom Sichtbaren zum Unsichtbaren vorwärtsschreiten.“[60]
Die Madonna von Notre-Dame wurde um 1245 gemeißelt. Sie hat leider ihr Kind, Teile ihrer Insignien und ihre Nachbarn in den Portalgewänden im Bildersturm der Französischen Revolution eingebüßt. Die dem Bildhauer gestellte Aufgabe war komplex. Maria musste als Mutter des menschgewordenen Gottessohnes gezeigt werden, aber zugleich auch als seine Dienerin und sein Geschöpf, als über- und untergeordnet, als Mutter und Jungfrau, Freundin und Braut in einem. Sie präsentiert den Betrachtenden ihren Sohn als Erlöser, hält ihn deshalb höher, als es eine Mutter normalerweise tun würde und überhöht ihn auf diese Weise. Die Statue versucht nicht, aus Monumentalität Wirkung zu gewinnen, sondern ist nur lebensgroß. Sie folgt auch nicht der kultbildhaften Strenge der älteren, unnahbaren, thronenden Marienfiguren, sondern ist in Kontrapost und Haltung ganz natürlich, in Richtung auf das Kind bewegt, dabei unangestrengt und von königlicher Würde. Diese Gebärde ist nicht allein eine Bewegung des Körpers, auch nicht nur Bedeutungsträger, sondern gleichzeitig Ausdruck von Gefühlen der Zuwendung und Anteilnahme, die sie auch beim Betrachter wecken möchte.
Der Faltenwurf lässt erkennen, dass die Madonna keine Seidengewänder trägt, wie die Figuren an den älteren Westportalen der Kathedralen von Chartres und Sens. Die zurückhaltende Mimik und das Maßvolle ihrer Bewegung entsprachen dem Kanon damaligen höfischen Verhaltens. Zugleich zeigt sie sich in ihrer Geste als die ihr Kind vor Gefahren bergende und schützende Mutter, unter deren „Schutz und Schirm“ man gerne fliehen möchte.[61] Der Schöpfer dieser Statue konnte nicht alle, zum Teil widersprüchlich erscheinenden mariologischen Aspekte gleichermaßen darstellen. Aber die Komplexität und Fülle der Thematisierung und die Meisterschaft der formalen Umsetzung machten diese Figur für lange Zeit zur vielleicht berühmtesten Madonnenstatue Frankreichs. Natürlichkeit und thematische Vielfalt schließen einander nicht aus. Deshalb hat die Analyse der Form einherzugehen mit der von Thematik und Bedeutung. Das Hauptziel der gotischen Kunst, das Überirdische ganz nah und greifbar zu gestalten, wird auf eine geradezu klassische Weise umgesetzt.

Die Epoche des hl. Ludwig als Vorbild für Philipp IV.
Die Kennzeichnung der französischen Kunst um 1300 als gotischer Klassizismus ist jüngeren Datums, doch ist dieser Begriff hier nicht verfehlt.[62] Es gab um 1300 mehrere Gründe, die Kunst der Zeit um 1250 als vorbildlich anzuerkennen. Es war die Epoche König Ludwigs IX., der schon zu Lebzeiten als das Muster eines christlichen Königs galt. Im Jahre 1297 kanonisierte ihn der Papst offiziell. Dadurch wurden auch die Bauten und Kunstwerke aus seiner Zeit, die ja schon an sich zu den großartigsten Leistungen mittelalterlicher Sakralkunst zählten, aufgewertet, erst recht seine eigenen Stiftungen, wie die Ste.-Chapelle in Paris. Auch Theologen der Epoche Ludwigs, wie Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Bonaventura u.a. hatten in den Augen der Nachwelt kanonischen Rang. Bei ihnen gab es nichts zu verbessern, man konnte nur von ihnen lernen. Ihre Lehren wurden zur Norm.
Aus den Quellen erfahren wir fast nichts über die den Werken zugrunde liegenden künstlerischen bzw. allgemeinen Anschauungen, wohl aber einiges aus den Werken selbst. Man würde z.B. erwarten, dass man angesichts der Normenbildung, der Festlegung und ständigen Wiederholung derselben Thematik und ihrer Verpflichtung auf die Tradition zur Kopie bzw. Replik zumindest der gelungensten Figuren gegriffen hätte. Doch ist das nicht der Fall. Es gibt bis zum späten 14. Jahrhundert keine einzige – nach unseren Maßstäben – genaue Replik bzw. Kopie. Der alte Leitsatz der Rhetorik: variatio delectat (Abwechslung erfreut) galt uneingeschränkt gültig und so selbstverständlich, dass man darüber kein Wort verlor. Er wurde vor allem durch den Kirchenvater Augustinus in die christliche Theologie eingeführt. Andererseits waren die Künstler zur Beachtung der Traditionen und Normen verpflichtet – das ist eine der Ursachen für den Reichtum der mittelalterlichen Kunst und zugleich ihre Beharrlichkeit. Außerdem prägte es die Praxis des Motivzitats, das man als variantenreiche Teilkopie bezeichnen kann. Rhetorik und Theologie haben das gefördert: So wie man in der Predigt und den theologischen Traktaten einzelne Schriftstellen aus ihrem Textzusammenhang löste, jeweils neu miteinander kombinierte und dadurch variierte. Bei unserer Königin hat man außer der Gebärde des rechten Arms auch das untere Drittel der Nordquerhaus-Madonna der Pariser Notre-Dame kopiert, die Mantelschürze aber von woanders übernommen. Diese collage-artige Praxis und wie sie sich änderte, soll weiter unten erläutert werden.

Die kunsthistorischen Zusammenhänge
Ein Klassizismus erhebt immer bestimmte Werke zur Norm und erklärt nur einige Motive, Materialien und Stilelemente zum Vorbild. Auch deshalb ist selbst die getreueste Nachahmung etwas anderes als ihr Modell. Die Anlehnung an die Kunst Ludwigs des Heiligen ist eine spezifisch französische Variante der Hofkunst. Es ist deshalb notwendig, auf das oben aus Anlass der architekturhistorischen Einordnung der Kapelle des Kollegs Gesagte noch einmal zurückzukommen. Der Begriff ‚Hofkunst‘ ist schillernd und seine Verwendung als überhistorische, zeitlose Kategorie – im Sinne von ‚besonders luxuriös‘ und ‚elegant‘ – nur teilweise richtig.[63] Doch entsteht dieser elitäre Typus während der letzten Lebensjahre Philipps in Paris, getragen von der Generation seiner Nachfolger. Nimmt man den Begriff ‚Hofkunst‘ streng historisch und fragt nur danach, was die Aufträge und Stiftungen des Hofes von denen anderer Gruppen unterscheidet, dann gab es im Frankreich des hl. Ludwig keine Hofkunst in diesem Sinne. Die vom König gestiftete Sainte-Chapelle in Paris unterscheidet sich nicht als ‚höfisch‘ von der Marienkapelle, die von der Zunft der Amienser Tuchmacher als Chorachskapelle der Kathedrale errichtet wurde.[64] Die Sainte-Chapelle ist gerade nicht als Monument zur Verherrlichung ihres Stifters konzipiert worden und war keineswegs nur einem privilegierten Benutzerkreis vorbehalten, sondern sie ist zuallererst als riesiger gläserner Reliquienschrein für die hochheiligsten Passionsreliquien gedacht, die der König für Frankreich erworben hatte. Diese Kunst ist im Prinzip für alle da. Bezeichnenderweise ist in dieser Epoche, die so viel gebaut hat, kein Baumeister explizit als Hofarchitekt benannt. Die Baumeister des Königs sind ausschließlich Festungsbaumeister. Dem entspricht, dass an der Fassade des Senser Synodalpalastes der König unter einem als Burgturm gestalteten Baldachin kniet, der hl. Erzbischof Savnianus jedoch unter einem Baldachin aus gotischen Architekturformen.[65]
Die als Grablege für das Königshaus gestiftete Abteikirche Royaumont wurde primär als Zisterzienser-Klosterkirche konzipiert.[66] Ludwigs Enkel, König Philipp der Schöne, empfahl zwar dem Baumeister des größten und wichtigsten Bauvorhabens seiner Regierungszeit, der Dominikanerinnenkirche St.-Louis in Poissy, sich an Royaumont zu halten. Doch hatte die neu errichtete Abteikirche weder zisterziensische noch dominikanische Elemente. Vielmehr wr sie ein höfischer Bau. Der König forderte laut Aussage des Chronisten, den Bau „quam plurimum sumptuose“ (so aufwändig wie möglich) auszugestalten.[67] (Abb. 8, 31). Im Rückblick auf die Architektur des Kollegiums von Navarra müssen wir feststellen, dass es unter Philipp mindestens zwei unterschiedliche Architekturspachen gab, eine schmuckreiche, höfische und eine einfache, städtisch-zweckdienliche.
Philipp IV. stilisierte sich zum unnahbaren König und baute seine Macht in absolutistischer Art aus. Er distanzierte sich von den traditionellen Herrschaftsträgern in Adel und Klerus und umgab sich mit einem Kreis ihm ergebener Räte, viele von ihnen Juristen und bürgerlicher Herkunft. Der Herrscher hielt sich bei öffentlichen Auftritten zurück und ließ seine Räte sprechen. Es hieß, er sei so steif und stumm wie eine Statue.[68] Die zahlreichen Skulpturen, die Philipp von sich und dem Königshaus aufstellen ließ, sollten die hohe Herkunft und Unerschütterlichkeit seiner Herrschaft repräsentieren sowie die Anhänglichkeit des Volkes an das Königshaus fördern (Abb. 7, 8). Andererseits hat kein französischer König so viele Klöster und Kirchen gegründet wie Philipp.[69] Dass alle ohne Ausnahme später vernichtet wurden, hängt auch mit der Spaltung in der Bewertung dieses Monarchen zusammen: Seine Anhänger sahen in ihm den guten König und frommen Nachfolger seines Großvaters; seine Gegner den Tyrannen, der den Papst gefangen nehmen ließ, den Tempelherrenorden vernichtet hat, gegen seine Feinde mit ungewöhnlicher Grausamkeit vorging, dem Volk und sogar dem Klerus, nicht aber dem Adel, ungewohnte Steuerlasten aufbürdete usw. [70]
Philipps Politik veränderte die Rahmenbedingungen der Kunst: Die Provinzen verarmten durch die Steuern und die Zentralisierung der Verwaltung, während in Paris bald weit über 100000 Menschen lebten. Die Kunst im Zeitalter der Kathedralen war getragen worden von einer Koalition aus Klerus, Volk und König; nun verschob sich das Auftraggeber-Spektrum zugunsten des Königs, seiner Familie und seiner Räte; deren Macht wurde jedoch nach seinem Tode im Jahr 1314 vom Adel wieder zurückgedrängt.[71] Von den Kathedral-Bauhütten gingen kaum noch Impulse aus – zahlreiche Spezialisten für Bauskulptur verloren ihr Hauptbetätigungsfeld. Das künstlerische Geschehen konzentrierte sich zunehmend auf die Hauptstadt und geriet dort stärker unter den Einfluss des Königshofes. Den Bildhauern blieben im Grunde nur noch zwei Hauptaufgaben: Grabmäler und Einzelstatuen, vor allem der Madonna, dazu einige kirchliche Ausstattungsstücke. Das Auftragsvolumen blieb jedoch so groß, dass viele verschiedene Werkstätten nebeneinander existieren konnten. Die erhaltenen Register einer Sondersteuer der Jahre 1298 und 1312 dokumentieren, dass es in Paris über 235 steuerpflichtige Bildhauer und Maler gab, und dazu noch 239 Steinmetzen.[72]

 Zum Mäzenatentum der Königin Johanna I.
Die kunsthistorische Forschung hat die Königin ignoriert und ihr jede Tätigkeit als Stifterin abzusprechen. Da Philipp in den Akten seiner Gemahlin fast immer als Mitstifter auftritt, hat man vergessen zu fragen,. Es wurde nie die Gegenfrage gestellt, welchen Einfluss sie auf die Stiftungen ihres Gemahls genommen bzw. bekommen hat. Es gibt jedoch durchaus Werke, die diese Fragen klar beantworten.
Das Reliquiar mit Passionsreliquien im Kirchenschatz von San Francesco in Assisi (Abb. 24, 25) hat das Allianzwappen Frankreich / Navarra, das nur das Königspaar zu führen berechtigt war. Die verlorene, jedoch gut dokumentierte Inschrift weist jedoch das Werk als eine Stiftung von Johanna aus.[73] Sie war eine treue Freundin und Förderin der Franziskaner, während Philipp den Dominikanern zugetan war. Den beiden Statuetten von Franz und Klara am Reliquiar in Assisi sind einer Holzmadonna des Louvre aus Abbéville, der Elfenbeinmadonna im Rijksmuseum Amsterdam und dem elfenbeinerne Gnadenbild Notre Dame de Groeninghe in St.-Michel in Courtrai (Abb. 26-28) eng verwandt.[74] Die Figur des Louvre und die in Amsterdam könnten sogar vom selben Künstler stammen. Der Material- und Formatunterschied sprechen nicht dagegen, da in Paris die Elfenbeinschnitzer in derselben Zunft waren wie die Holzbildhauer, getrennt von den tailleurs d’images, die in Stein arbeiteten. Doch waren damals in ihrer Zunft die Elfenbeinschnitzer tonangebend, und zwar – wie das Reliquiar in Assisi zeigt – auch für die Goldschmiede.
Es stellt sich die Frage, ob nicht die ganze Gruppe der Hofkunst Philipps und Johannas zuzurechnen ist?[75] Künstlerischer Ausgangspunkt sind die Elfenbeine der Spätzeit des hl. Ludwig, vor allem die Madonna der Sainte-Chapelle im Louvre. Diese Gruppe von Figuren kann man als die früheste Phase der Hofkunst Philipps des Schönen und seiner Gemahlin bezeichnen, in der die ludovizische Kunst in einer manieristisch übersteigerten Weise weitergeführt wird, also keine Erneuerung der Kunst und ihres Gehaltes stattfindet, sondern nur eine Abänderung ihrer Formen, Neues um der Neuheit willen. Sie dürfte in die Siebziger bzw. Achtziger Jahre des 13. Jahrhunderts datierbar sein. Dafür spräche auch die um 1280 erfolgte Stiftung der Elfenbein-Madonna in St.-Michel in Courtrai.[76] Kennzeichnend ist das Abknicken des Oberkörpers in der Hüfte. Eine derartige Haltung zu wählen, lag bei der Krümmung des Elfenbeinzahns zwar nahe, war aber bis dahin, d.h. bis zur Schaffung der Elfenbeinmadonna der Ste.-Chapelle, vermieden worden. Erst recht kann man bei dem Eichenholzblock nicht von einem äußeren Zwang ausgehen, sondern nur von einem durch die Elfenbeinschnitzer geprägten Formwillen. Deshalb könnte man von einem Elfenbeinstil sprechen.[77] Ebenso typisch ist die Reduzierung der Schüsselfalten auf zwei alternierende V-Formen.
Mit dem Königspaar hypothetisch in Verbindung zu bringen ist auch ein im ganzen 14. Jahrhundert häufig nachgeahmter Madonnentyp, die Buchsbaum-Statuette aus dem königlichen Dominikanerinnenkonvent St.-Louis in Poissy, heute im Museum Meyer van den Bergh in Antwerpen.[78] Dieses Kloster zu Ehren seines 1297 heiliggesprochenen Großvaters ist das wichtigste Bauvorhaben König Philipps IV. Verglichen mit den bisher betrachteten Figuren fällt die zurückhaltende und elegante Bewegung auf, die sensible Gestaltung des unter dem Gewand spürbaren Frauenkörpers sowie die Rhythmik der Vertikalfalten und Saumkaskaden. Dieses Arrangement ist naturnah und zugleich Ergebnis hoher Kompositionskunst, die Mutter und Kind verbindet, aber zugleich die Blicke der Betrachter auf das Kind lenkt, das Hauptthema und eigentliche Mittelpunkt dieser Gruppe.
Aus dem Blickwinkel einer Geschichte der Kunst bezeugt die Abfolge der besprochenen Werke ein Anwachsen künstlerischer Virtuosität und ästhetischer Verfeinerung. Die Lebensnähe leidet zwar etwas unter der geometrischen und stereometrischen Perfektion – man halte etwa den furiosen Einsatz der Werkzeuge durch Giovanni Pisano dagegen – , doch zeigen die französischen Skulpturen eine neue, eigentümliche Schönheit des Linienspiels und ein eigenartiges Raffinement der Form. Diese Skulpturen hatten eine religiöse Funktion und waren doch zugleich Werke, an deren Kunst man sich erfreute und die als Kunstwerke wahrgenommen und gesammelt wurden. Das würde man von den Skulpturen der Zeit des hl. Ludwig nicht sagen können.
In die Regierungszeit König Philipps des Schönen und seiner Söhne fallen einige äußerst wichtige und folgenreiche technische und künstlerische Neuerungen der französischen Kunst, die – zusammen genommen – den Anbruch einer neuen Kunstepoche markieren: die Verbesserung des transluziden Emails und die Erweiterung seines Farbspektrums; die Erfindung des ‚émail de plique´(einer Art von transparentem Zellenschmelz) und des Silber-Gelb-Pigments in der Glasmalerei, die neuartige Dominanz von weißem Marmor und Elfenbein in der Skulptur, überhöht durch die sublime Grisaillemalerei des Jean Pucelle und den matten Glanz der zu höchster Perfektion gebrachten Seidenstickerei.[79] All dies hat jeweils eine neuartige ästhetische Qualiät, die wie das in der Regel kleine Format bezeugt, dass sie für den Privatgebrauch geschaffen wurden.
Wichtig für die richtige kunsthistorische Einschätzung dieser Bestrebungen ist, dass für einige Zeit die Werke dieser neuen technischen und ästghetischen Qualität vom Hof und den herrschenden Kreisen für sich in Anspruch genommen wurden, so dass ab etwa 1320d er größte Teil der qualitativ hervorragenden Produktion als Hofkunst im neueren Sinne bezeichnet werden muss.

Selbst wenn die höfische Provenienz der Antwerpener Statuette nicht als sicher genug beurteilt wird, bleiben drei Zeugen für die Beliebtheit dieser Erfindung in höfischen Kreisen: 1. Der Torso der Trumeau-Madonna vom Portal des Echevins an der um 1310 entstandenen Westfassade der königlichen Stiftskirche Notre-Dame in Mantes-la-Jolie (Yvelines).[80] 2. Die von Mahaut d‘Artois gestiftete, vom Hofbildhauer Jean Pépin de Huy im Jahre 1329 angefertigte Marmormadonna von Gosnay (Pas-de-Calais).[81] 3. die Statue der Anna Selbdritt im spätestens 1313 entstandenen Figurenzyklus der Stiftskirche Notre Dame in Ecouis (Eure), der dem Hofmeister der Königin Johanna und allmächtigen Minister des Königs, Enguerran de Marigny, verdankt wird (Abb. 32-34).[82] Die beiden erstgenannten Statuen sind Paraphrasen des Typus. Er ist also nach der Nordquerhaus-Madonna der Pariser Kathedrale das erste Beispiel der Gesamtübernahme einer Figurenkomposition. Die Anna Selbdritt in Ecouis hingegen zitiert nur in ihrem unteren Drittel das Gewand der Antwerpener Madonna. Sie ist ein überzeugender Beleg für die Praxis des Zitierens und Collagierens einzelner Motive. Mit der Anna Selbdritt wiederum ist die vielleicht von Mahaut d’Artois gestiftete Madonna in Salins-les-Bains (Jura) verwandt.[83] Zuletzt ist noch die Kirche von Sancourt (Eure) zu nennen,die ebenfalls zum Besitz des Engurran de Marigny gehörte; deren Marienstatue ist eine Paraphrase des Poissy-Typus. Die Liste der Nachfolgrwerke wäre leicht zu verlängern.[84]
Der Poissytyp ist seit etwa 1305 die am weitesten verbreitete Kompositionsformel für Marienstatuen und löst die Madonna vom Nordquerhaus-Portal von Notre-Dame in Paris ab. Sie scheint damals das beliebteste Marienbild in den Kreisen um das Herrscherpaar gewesen zu sein. Wenn meine Argumentation zutrifft, sind unsere Königin und der Poissytyp gleichzeitg. Doch müsste man sie unterschiedlichen Stillagen zurechnen. Denn die Königin ist weniger raffiniert im Faltenspiel, und sie ist blockhafter. Ihr Umriss und ihr Körpervoliumen nähern sich der Form eines Kegels. Sie ist darin nicht so radikal wie die Statue in Bayel (Aube), 18), 112-113. Doch lässt sich nachweisen, dass diese Art der geometrischen Stilisierung nur wenige Jahre am Ende des 13, Jahrhunderts verbreitet war. [85] Also ist unsere Königin entweder das Werk eines Bildhauers der älteren Generation, oder sie ist bereits zu einem früheren Zeitpunkt als von mir ermittelt entstanden. An der Identifikation ändert das nichts.
Es ist zu vermuten, dass die reiche Königin viel mehr gestiftet und angeregt hat, vor allem auch in ihrem Herrschaftsbereich, der Champagne.[86]

Abschließende Überlegungen zur Analyse der Skulptur um 1300
Bisher wurde vor allem formengeschichtlich und ikonographisch argumentiert, warum es sich bei dieser Statue um eine in Paris entstandene Darstellung der Königin Johanna I. von Navarra aus der Zeit um 1305 handelt. Schwieriger ist es, auf stilkritischem Wege eine genaue Datierung und Lokalisierung zu begründen, da bisher außer dem oben erwähnten Königinnenkopf im Louvre keine Figuren derselben Bildhauerwerkstatt bekannt geworden sind. Bei alten Kunstwerken, die im Kunsthandel neu auftauchen, bisher unbekannt waren und sich obendrein nicht in eine der bekannten Werkgruppen einordnen lassen, besteht dringender Fälschungsverdacht, vor allem, wenn es sich um Themen handelt, die dem populären Mittelalter-Bild entsprechen, wozu auch die Skulptur der Königin zu zählen ist. Dabei zeigt sich, dass man für die Untersuchung von Kunstwerken noch weiterer Methoden bedarf. Dies sei am Vergleich mit zwei Skulpturen gezeigt, die vorgeben, wie unsere Königin französische Originale der Epoche um 1300 zu sein. Es handelt sich um die oben bereits erwähnte sog. Minnegruppe in der Berliner Skulpturensammlung (Abb. 35) und eine Statue des hl. Ludwig von Frankreich als Kreuzfahrer, beide aus Eiche und unterlebensgroß, beide Fälschungen (Abb. 36).[87] Bei ihrer Analyse konnte man auf eine naturwissenschaftliche Methode zurückgreifen, die Dendrochronologie, die auf unsere Königin nicht angewendet werden kann, da sie nur bei Holz funktioniert – wenn auch nicht bei allen Hölzern. Diese Methode geht davon aus, dass Bäume je nach Klima jedes Jahr unterschiedliche Jahresringe ausbilden, die man messen und in einer Kurve erfassen kann. Da alle Bäume einer Klimaregion ähnlichen Bedingungen unterliegen, kommt man zu recht verlässlichen Datierungen, vor allem dann, wenn aufgrund starker Klimaschwankungen markant profilierte Zonen entstehen, die als Fixpunkte dienen können. Zur Sicherung der Datierung trägt bei, dass man im Mittelalter für die Anfertigung von Skulpturen nur frisches Holz verwendete, also Fälldatum und Bearbeitungszeitpunkt fast zusammenfallen.[88]
Doch kann man auch mit naturwissenschaftlichen Methoden allein keine absolute Sicherheit erlangen. Bei der Minnegruppe haben drei verschiedene Messungen drei verschiedene Resultate erbracht. Das Verfahren steckte allerdings zum Zeitpunkt der ersten Untersuchungen noch in den Anfängen. Es gibt jedoch noch andere Faktoren, die Irrtümer begünstigen: Gewitzte Fälscher konnten alte Holzblöcke beschaffen. Dass tatsächlich derartige uralte Materialien zu finden waren, beweist u.a. eine Fotoserie, die Eugène Atget von den Abrissarbeiten in Pariser Altstadt-Vierteln seit den 1860er Jahren gemacht hat. Dabei wurden sehr große Blöcke von Bauholz aus dem Mittelalter aufgedeckt.[89] Die Minnegruppe ist aus einem derartigen Stück Holz gemacht. Aus mittelalterlicher Sicht ist zu kritisieren, dass der Bildschnitzer mit bereits verrottetem Holz gearbeitet hat; d.h. das Holz war lange vor der Bearbeitung durch den Schnitzer von Schädlingen befallen. Die mittelalterlichen Zunftgesetze verboten jedoch die Verwendung von angefaultem oder wurmstichigem Holz, insbesondere für sakrale Werke.[90]
Die Bedeutsamkeit handwerks- und kulturgeschichtlicher Kenntnisse wird bei der Figurenanalyse meist übersehen. Dass jedoch das traditionelle Instrumentarium der Kunstgeschichte ergänzt, wenn nicht gar revidiert werden muss, liegt auf der Hand. Dies zeigt sich bei der vom selben Fälscher geschaffenen Gruppe, die den hl. Ludwig IX., König von Frankreich, darstellen soll, wie er im Jahre 1254 nach dem gescheiterten Kreuzzug aus arabischer Gefangenschaft von seiner Gemahlin Margarete empfangen wird.[91]
Der Schnitzer hatte offenkundig lange engen Umgang mit mittelalterlichen Originalen, wie es eigentlich nur einem Restaurator möglich ist.[92] Dass er das lothringische Vorbild der Ludwigsgruppe aus dem späten 12. Jahrhundert kannte,, heute im Musée Lorrain in Nancy, belegt breite kunsthistorische Kenntnisse.[93]
An diesem Werk sind kaum stilistische Ungereimtheiten und formale Fehler nachzuweisen. Die Methode der Stilkritik gerät hier an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Denn der Fälscher ist äußerst geschickt vorgegangen: Für die Gestalt des Ritters orientierte er sich an Rittergrabmälern und vor allem ine Statuen der Ritterheiligen am Südquerhaus der Kathedrale in Chartres. Für den Kopf der Margarete wählte er als Modell die koketteste der Straßburger Törichten Jungfrauen des Nordportals der Westfassade des Münsters (Abb. 38). Diese Wahl aber ist ein schwerer Fehlgriff und entlarvt den Urheber als Kind des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Denn die Etikette des Alten Europa schloss die Darstellung einer Königin als Schmusekätzchen aus, ebenso eine derartige Zuspitzung des Geschlechtergegensatzes wie bei diesem Paar: Er steht starr und steif da und schaut wie geistesabwesend in die Ferne, während seine Frau ihn umtänzelt und anhimmelt. Eine Königin hatte jedoch die Würde zu wahren; zumindest war sie so darzustellen. Das ganze Mittelalter hindurch galt es als ungeschriebene, aber feste Regel, dass hohe Herrschaften und erst recht heilige Personen nur würdevoll und schön, ohne körperliche Gebrechen, Schmutz und gemeine Züge darzustellen seien. Das gilt selbst für die verbrecherischsten Königinnen der Bibel, wie Athalia (4.Könige 11) oder Herodias. Man anerkannte zwar, dass es verschiedene Grade und Arten der Schönheit gibt; doch ist die seit dem 13. Jahrhundert sich verfeinernde Charakterzeichnung der Physiognomik eine ausschließlich auf adlige Herren beschränkte Ausdifferenzierung des männlichen Schönheitsideals. Die Darstellung von Hässlichkeit sowie von Entstellung durch Krankheit und Verfall blieb den gesellschaftlichen Unterschichten und den Außenseitern vorbehalten.
Einmal aufmerksam geworden, lassen sich auch bei der Minnegruppe mit Hilfe kulturgeschichtlicher Erkenntnisse weitere Regelverstöße entdecken: Das Laster der luxuria durch ein Liebespaar zu exemplifizieren, war zwar üblich; dafür ein so monumentales Format zu wählen und – dadurch bedingt – einen so hohen, d.h. das dargestellte Thema überhöhenden Aufstellungsort, ist ein schwerer Fehler.[94] Erzählende Zyklen der Tugenden und Laster sind immer als unterlebensgroße Reliefs, niemals vollrund und monumental gebildet.
Wie sehr die Grade der Plastizität sowie das Mehr oder Weniger an architektonischer Rahmung als Wertung verstanden wurden, beweist der Zyklus der Tugenden und Laster am mittleren Westportal von Notre-Dame in Paris (Abb. 39).[95] Dort sehen wir die Personifikationen der Tugenden als plastisch vortretende Figuren thronen, die von reich geschmückten Arkaden auf Dreierdiensten gerahmt werden. Die Exempla der Laster hingegen wurden darunter (!) aufgereiht, womit ihre Unterordnung sinnfällig wird; vor allem sind sie in die Reliefplatte eingetieft, nicht plastisch hervorgehoben. Statt der vortretenden rahmenden Arkaden mit ihrem Schmuck aus Säulen, Basen, Kapitellen sowie einem bekrönenden Dreipass-Bogen finden wir nur seitlich je zwei formlose Kanneluren. Dies ist ein anschauliches Lehrstück der Theorie des Plastischen im 13. Jahrhundert. Dann wundert es aber auch nicht, dass bei unserer Königin der Kopf und die Hände mit dem Bauwerk so viel plastischer ausfallen als der eigentliche Körper.
Das 19. Jahrhundert hingegen dachte ganz anders. Die Gesellschaft und mit ihr die Künstler hatten den Sinn für die Exklusivität und Würde der Plastik verloren; geprägt von der revolutionären Forderung nach égalité stand man einer Hierarchie der Formen und Gattungen eher misstrauisch gegenüber. Es kam kaum jemandem in den Sinn, dass das Zitieren einer affektierten Törichten Jungfrau für die Darstellung einer Königin unangemessen war. Im Gegenteil: Man liebte das Anekdotische, Genrehafte und erotisch Pikante. Auch war es nur im 19. Jahrhundert möglich, Mann und Frau in derartigen Rollenklischees darzustellen.
Unkenntnis des mittelalterlichen Denkens offenbart der Fälscher auch darin, dass der Löwe, auf dem der hl. Ludwig als Sieger über das Böse eigentlich stehen sollte, sich wie eine furchtsame Katze hinter ihm versteckt, so dass er aus der Hauptansicht nicht zu sehen ist (Abb. 40). Der Fälscher hat nicht verstanden, dass die Löwen unter den Füßen von heiligen Personen im Mittelalter immer als Symbol der überwundenen Teufelsmacht gemeint sind und deshalb als potentiell gefährlich dargestellt werden.[96] Seit dem 19. Jahrhundert jedoch wurden selbst die wildesten Raubtiere nur noch als dressiert und hinter Gittern wohlverwahrt und wie harmlose Haustiere in Zirkus und Zoo vorgeführt.

Fazit: Die Fälschungen zeigen, dass das gängige Methodenspektrum der Kunstgeschichte um komparatistische und rezeptionsgeschichtliche sowie um technik-, kultur- und mentalitätsgeschichtliche Vorgehensweisen erweitert werden muss. Auch naturwissenschaftlich operierende Untersuchungstechniken bedürfen – sofern sie überhaupt anwendbar sind – der Absicherung durch die geisteswissenschaftlichen Nachbarfächer. Erst die Zusammenarbeit aller kann sichere Ergebnisse erreichen.


[1] Die Figur ist 82 cm hoch, 25 cm breit und 18 cm tief. Erworben wurde sie von Pierre Girot de Langlade in Paris, dem Erben der Sammlung Stern, in die sie möglicherweise unter Louis Stern (†1900) gelangt war. Sie wurde vorläufig publiziert im Kat. der Ausstellung Naumburg 2011: Der Naumburger Meister, Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen, Petersberg 2011, Bd.2, 1518-1519 (Lutz Stöppler).
[2] Eine petrographische Untersuchung wurde bisher nicht vorgenommen.–. Odette Chapelot / Paul Benoit (Hg.): Pierre & Métal au Moyen Age, Paris 1985 (Recherches d'histoire et de sciences sociales 11).
[3] Zum Erhaltungszustand s. den Beitrag von Bodo Buczynski. – Als man dem Minister König Philipp s IV., Enguerran de Marigny, im Jahre 1315 den Prozess wegen Bereicherung und anderen Vergehen machte, warf man ihm auch vor, er habe für die Ausstattung seiner Bauten in Vernon 52 für Statuen geignete Blöcke bester Qualitätt abtransportiert, zum Wert von je 40 Pfund Groschen s. Louis Régnier: L’église Notre-Dame d’Ecouis, autrefois collégiale, Paris und Rouen 1913, 111ff., 143ff– Dorothy Gillerman: Enguerran de Marigny and the Church of Notre-Dame at Ecouis. Art and Patronage in the Reign of Philipp the Fair, Philadelphia 1994.
[4] Leider verursacht dies heute große Probleme: Bei der üblichen Reinigungsmethode wird die kristalline Schutzschicht entfernt und der weiche Kern dahinter bloßgelegt, der aber keine neue Schutzschicht mehr bildet.
[5]Collection Adolphe Stoclet (1ère partie), choix d’œuvres appartenant à Madame Féron-Stoclet. Préface de G. A. Sales, sous la direction de J. P. van Goitsenhoven, Bruxelles, 1956, S. 220: als Material wird «pierre savonnière» angegeben und das folgendermaßen betitelt: «sainte Clotilde, reine de France, portant sur des bras une châsse en forme de cathédrale. France, début XIVe s.“ Stoclet dürfte das Werk vor 1940 erworben haben. Auf die 100 cm große Figur machte mich dankenswerterweise Robert Didier aufmerksam.
[6] (Gut dokumentiert ist z.B. die Anbringung der Statuen König Ludwigs des Heiligen und seiner Kinder (Abb. 10), ehemals in St.-Louis in Poissy: Collection Gaignières, Oxford, Bodleian Library 2, fol.31 (Gesamtansicht); Paris, BnF, Cabinet des Estampes O a 9-11 (acht Details). Die meisten Blätter sind öfters abgebildet, so z.B. in: Alain Erlande-Brandenburg: Le Roi est mort. Etude sur les funérailles, les sépultures et les tombeaux des rois de France jusqu’à la fin du XIIIe siècle, Genf 1975.- Bernd Carqué: Begnadete Künstler, verfluchte Könige? Fragen an die Hofkunst Philipps IV. von Frankreich, in: Andrea Hülsen-v. Esch u.a. (Hg.): Die Methodik der Bildinterpretation, Göttingen 2002, 69-119.- Wolfgang Brückle: Civitas terrena. Französische Kunst 1270-1380 im Umkreis von Staatsrepräsentation und politischem Aristotelismus, Berlin 2005.
[7] Michel Pastoureau: Bleu. Histoire d’une couleur, Paris 2001.- Thomas Lersch: Farbenlehre, in: Reallexikon zur deutschen Kunst, Bd. VII, Sp. 137-274, bes. 166-172.
[8] Schwarz und Weiß galten im Mittelalter – entgegen der heutigen Farbenlehre – als Farben, und zwar von höchster symbolischer Bedeutung.
[9]  Wie Reliquien in einer Figur deponiert wurden und wie die Spuren kultischer Verehrung aussehen, kann man im Berliner Bode-Museum z.B. an der Dangolsheimer Madonna studieren.
[10] Dies wird bestätigt durch die Ansicht der Portalfiguren des Collège de Navarre bei Bernard de Montfaucon: Les monumens (!) de la monarchie françoise (!), Bd. 1-5, Paris 1729-1733, hier: Bd. 2, Taf. 206, Nr. 212.– Ursula Deitmaring: Die Bedeutung von rechts und links in theologischen und literarischen Texten bis um 1200, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 98 (1969), 265-292.– Hans W. Goetz: Der ’rechte‘ Sitz. Die Symbolik von Rang und Herrschaft im Hohen Mittelalter im Spiegel der Sitzordnung, in: Gertrud Blaschnitz u.a. (Hg.), Symbole des Alltags, Alltag der Symbole, in: Festschrift für Harry Kühnel zum 65. Geburtstag, Graz 1992, 11-47.– Gerd Althoff: Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003.
[11] Wenn Herrscherinnen als alleinige Stifterinnen auftreten, halten sie meist das Gebäudemodell in der rechten Hand.
[12] So wird die Gemahlin Kaiser Ludwigs des Bayern, Margarete v. Holland, in dem Stifterrelief der 1324 datierten Münchner Burgkapelle, heute im Bayerischen Nationalmuseum, durch ihre Stellung zur Rechten der Madonna als die eigentliche Stifterin erkennbar; s. Robert Suckale: Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern, München 1993, 22-25, 251-252.
[13] François de Guilhermy: Inscriptions de la France du Ve au XVIIIe siècles, 5 Bde., Paris 1873-1883, hier: Bd. 2, 462 und Bd. 5, 17.
[14] Das Aufkommen einer radikal neuen Mode dürfte mit dem Regierungswechsel im Jahre 1314 zusammenhängen, der auch ein Generationswechsel war.
[15] Mit diesem Problemkomplex befassen sich vor allem meine folgenden Arbeiten: Die Hofkunst… (wie Anm. 12), Kap. II; Überlegungen zur Pariser Skulptur unter König Ludwig dem Heiligen (1236-1270) und König Philipp dem Schönen (1285-1314), in: R. Suckale: Das mittelalterliche Bild als Zeitzeuge. Sechs Studien, Berlin 2002; 123-171; Stilgeschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Probleme und Möglichkeiten, in: Bruno Klein / Bruno Börner (Hg.): Stilfragen zur Kunst des Mittelalters, Eine Einführung, Berlin 2006, 271-28; wieder abgedruckt in: Stil in der Kunstgeschichte. Neue Wege der Forschung, Darmstadt 2009, 142-153; Datierungsfragen sind Verständnisfragen. Zur Einordnung der Kölner Domchorstatuen, in: Klaus Hardering (Hg.): Die Chorpfeilerfiguren des Kölner Doms (Festschrift Barbara Schock-Werner), in: Kölner Domblatt 77, (2012), 256-289.
[16]  Willibald Sauerländer: From ‘stylus’ to style.###.– Robert Suckale: Stilgeschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Probleme und Möglichkeiten, in: Bruno Klein / Bruno Börner (Hg.): Stilfragen zur Kunst des Mittelalters, Eine Einführung, Berlin 2006, 271-28.
[17] Françoise Baron, in: Katalog der Ausstellung: L’art au temps des rois maudits. Philippe le Bel et ses fils 1285-1328, Paris, Grand Palais 1998, 82-83.Die Figur der Bathilde misst 121 cm und entstand im Zusammenhang vonUmbauten im Kreuzgangbereich im Jahre 1273; ihr Pendant auf der anderen Seite des Portals war ihr Gemahl Chlotar III.
[18] Der Romanusschrein im Schatz der Kathedrale von Rouen, eine Statuette im Metropolitan Museum New York nach dem Vorbild der Pariser Nordquerhaus-Madonna; die Elfenbein-Madonna der Sainte-Chapelle im Louvre, die Holzfigur der Madonna im Museum von Bourges. Zu diesen Figuren s. Suckale 2002 (wie Anm.12),
[19] Dieter Kimpel / Robert Suckale: Die Skulpturenwerkstatt der Vierge Dorée am Honoratusportal der Kathedrale von Amiens, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 36 (1973), 217‑265, hier: 247f.
[20] Suckale 2012 (wie Anm.15).
[21] Die Stifterinnen-Statuen in der Chapelle St.-Paul et St.-Louis der königlichen Stiftskirche in Mantes wurden von Françoise Baron überzeugend als Maria von Brabant und Johanna von Evreux identifiziert; sie zeigen einen anderen Stil (Abb. 22, 23) und sind frühestens 1328-1329 entstanden; s. Kat. Paris 1998, 132-133. Dass die Benennung als ’Chapelle de Navarre’ auf einem Irrtum beruht, zeigt Philippe Plagnieux: Une fondation de la reine Marie de Brabant, la chapelle St.-Paul et St.-Louis, in: Mantes médiévale. La collégiale au coeur de la ville, Paris und Mantes 2002, 110-116.
[22]Aurélie Perraut: L’Architecture des collèges parisiens au Moyen Age, Paris 2009, 41, 176f.
[23] Kat. der Ausstellung: Les Fastes Gothiques. Le Siècle de Charles V, Paris 1981, passim (Françoise Baron).
[24] Françoise Baron: Le Moyen Age, Catalogue du Musée du Louvre, Département des sculptures du Moyen Age, de la Renaissance et des Temps Modernes, Paris 1996, 130. Der Kopf ist aus Eichenholz und misst 35cm; die Figur dürfte also lebensgroß gewesen sein. e Kronenform lässt darauf schließen, dass das Marienbild etwas älter ist.
[25] Henri d‘Arbois de Jubainville: Histoire des ducs et comtes de Champagne, 7 Bde. Troyes 1859‑65, bes. Bd. 4, 429-456 und Bd. 6 (preuves).
[26] Jörg Träger: Der Tod des Marat, Revolution des Menschenbildes, München 1986, 34.– Perraut (wie Anm. 19).
[27] Eine Auswahl (chronologisch): Edgard Boutaric: La France sous Philippe le Bel. Etude sur les institutions politiques et administratives du Moyen Age, Paris 1861.– Heinrich Finke: Zur Charakteristik Philipps des Schönen, in: Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 26 (1906), 201-224.– Jules Viard (Hg.): Les journaux du trésor de Philippe IV le Bel, Paris 1940.- Antoine de Lévi-Mirepoix: Le siècle de Philippe le Bel, Paris 1961.– Robert Fawtier / F. Maillard (Hg.): Comptes royaux (1314-1328), 3 Bde., Paris 1961.– Charles-Victor Langlois: Saint Louis, Philippe le Bel, les derniers Capétiens directs (1226-1328), Paris 1978.– Joseph R. Strayer: The Reign of Philip the Fair, Princeton 1980.– Sophie Menache: Philippe le Bel. Genèse d’une image, in: Revue belge de philologie et d’histoire 62 (1984), 688-702.– Elizabeth A.R. Brown: The Monarchy of Capetian France and Royal Ceremonial, London 1991 (Reprint ihrer Aufsätze).– Danielle Gaborit-Chopin (Hg.): L’art au temps de Philippe le Bel, Actes du colloque, Paris 1991.– Elisabeth Lalou: Les comptes sur tablettes de cire de la chambre aux deniers de Philippe III le Hardi et Philippe IV le Bel (1282-1309), Paris 1994. Elisabeth Lalou: Itinéraire de Philippe IV, 2 Bde., Paris 1997. – Joachim Ehlers: Die Kapetinger, Stuttgart u.a. 2000 (Urban Taschenbücher 471), 191-222.– Wolfgang Brückle: Revision der Hofkunst. Zur Frage historistischer Phänomene in der ausgehenden Kapetingerzeit und zum Problem des höfischen Pariser Stils, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 63 (2000), 404-434.–Bernd Carqué (wie Anm. 7).– Jean Favier: Un roi de marbre, Philippe le Bel, Enguerran de Marigny, Paris 2005. - Brückle 2005 (wie Anm.7).
[28] Schon Karl Wenck: Philipp der Schöne von Frankreich. Seine Persönlichkeit und das Urteil seiner Zeitgenossen, Marburg 1905 weist darauf hin, dass sich die Mehrheit der mittelalterlichen Chronisten sehr wohl für Johanna interessierte, nicht jedoch die Historiker. Er schreibt S. 47: “Es sei dem Ausländer gestattet, ihr einen ehrenvollen Platz unter den besten Königinnen Frankreichs zuzuteilen.“ - Elisabeth Lalou: Le gouvernement de la reine Jeanne, in: Cahiers Haut Marnais 167 (1986), 16-30. - Perraut (wie Anm. 20), 1-17. - Elizabeth A.R. Brown: Customary Aids and Royal Finance in Capetian France. The Marriage Act of Philipp the Fair, Cambridge/Ma 1992.
[29] Um sich eine Vorstellung von der Höhe dieser Summe zu machen, mag der Hinweis genügen, dass man für den Bau der Kirche Notre-Dame de la Roche sowie das zugehörige Kloster mitsamt Ausstattung insgesamt 4.000 £ benötigte; Claude u. Louis Sauvageot: Monographie de la Chapelle de Notre-Dame de la Roche, Paris 1863. - Zu den Baukosten der Ste.-Chapelle in Höhe von 40.000 £ s. Michel Félibien / Guy-Alexis Lobineau: Histoire de la ville de Paris I, Paris 1725, 293ff. Allerdings wurden für die Reliquiare beinahe 100.000 £ ausgegeben.
[30] Nathalie Gorochov: Le collège de Navarre dès sa fondation (1305) au début du XVe siècle (1418). Histoire de l‘institution, de sa vie intellectuelle et de son recrutement, Paris 1997, 130f.
[31] Léopold Delisle: Durand de Champagne, franciscain, in: Histoire Littéraire de la France 30 (1888), 302-333; ein frühes Exemplar mit Besitzvermerk König Karls V. in der BnF Paris, ms. lat. 6784; zur französischen Version s. Alice A. Hensch: De la littérature didactique au Moyen Age s’adressant spécialement aux femmes, Paris 1903, Reprint Genf 1975.
[32] Peter Kurmann: La cathédrale St.-Etienne de Meaux, Genf 1971, 88-98.
[33] Dank der Arbeit von Nathalie Gorochov (wie Anm. 27) sind wir trotz der Verluste vieler Archivalien gut über die Geschichte unterrichtet.– Heinrich Denifle: Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1885. - Astrik L. Gabriel: The College System in the Fourteenth Century, in: Francis Lee Utley (Hg.): The Forward Movement of the Fourteenth Century, Columbus 1961, 79-124.
[34] Joannis Launoii Constantiensis, Parisiensis Theologi, Regii Navarrae Gymnasii Parisiensis historia pars prima, Paris 1677, zitiert S. 39f. die Gedenkinschrift für die Grundsteinlegung am Tor der Kapelle: Anno Domini MCCCIX. Sabbato duodecima Aprilis, videlicet Sabbato post Quasimodo, reverendus Pater dominus Simon Festu, Dei gratia Meldensis Episcopus, executor excellentissimae dominæ Ioannæ Franciæ & Navarræ Reginæ, posuit & situavit primum lapidem in introitu Ecclesiæ seu Capellæ Congregationis Scholarium de Navarra, quam dicta domina in sua vltima voluntate Parisius in Monte sanctæ Genovefæ instituit & ordinavit, præsentibus Milone Cancellario, Guillelmo de Ferrariis Officiali Meldensi, Radulpho de Prell’ Clerico domini Regis, & Magistro Petro de Valle-Reinfredi Latomo ac pluribus aliis.(Im Jahre des Herrn 1309, am Samstag, dem 12. April, d.h.am Samstag nach Quasimodo hat der ehrwürdige Vater und Herr Simon Festu, von Gottes Gnaden Bischof von Meaux, Testamentsvollstrecker der herausragenden Herrin Johanna, Königin von Frankreich und Navarra, den ersten Stein gelegt und aufgestellt am Eingang der Kirche bzw. Kapelle der Kongregation der Schüler von Navarra, den die genannte Herrin in ihrem letzten Willen in Paris auf dem Berg der Heiligen Genoveva eingerichtet und geordnet hat, unter Anwesenheit des Kanzlers Milo, des Wilhelm von Ferrières, Offizials von Meaux, des Raoul de Presles, Klerikers des Herren König und des Meisters Pierre de Varinfroy und vieler anderer). Die Kenntnis dieses Textes verdanke ich Elisabeth A.R. Brown.
[35] J. Périn: Les Collèges – le Collège de Navarre. Anciens bâtiments et chapelle, in: Montagne Ste.-Geneviève 1 (1895-1896), 139-149.– G. Pinet: La grande salle de Navarre, in: Revue des études Rabelaisiennes 8 (1910), 173-179.
[36] Die Zuschreibung dieses Baus an Pierre de Varinfroy schon bei Kurmann (wie Anm. 29), 90f. Für Bilder der Kapelle s. Perraut (wie Anm. 19): Das Aquarell der Westfassade aus dem frühen 19. Jh. ist auf dem vorderen Buchdeckel abgebildet (Abb. 19), S. 125 die Ansicht des Kollegs auf dem Plan Turgots von 1739, S. 193 eine Zeichnung der Statue Philipps des Schönen vom Portal des Kollegs (Abb. 7), S. 239 Grund- und Aufriss vereinfacht. - Brückle 2000 (wie Anm. 7), 420. - Über Festu s. Perraut, 108.- Strayer (wie Anm. 24), 95, 161.
[37] Dom Toussaint du Plessis: Histoire de l’Église de Meaux, 2 Bde., Paris 1731.- Kurmann (wie Anm. 29) und ders.: La cathédrale Saint-Etienne et ses portails, in: Meaux Médiéval et Moderne, Meaux 1992, 226-239, 291-294.
[38] Hinzukommt die stilistische Anpassungsfähigkeit des Vaters; s. Peter Kurmann / Dethard v.Winterfeld: Gautier de Varinfroy, ein „Denkmalpfleger“ im 13. Jahrhundert, in: Festschrift für Otto v. Simson, Berlin 1977, 101-159.
[39] Die Behauptung von Perraut (wie Anm. 19) und anderer Autoren einer Verwandtschaft des Kollegiums mit der Sainte-Chapelle übersieht, dass die Palastkapelle als zweigeschoßiger Bau einem anderen Typus zugehört. Die Saalkirche geht sogar bis in die Spätantike zurück und ist weit verbreitet.
[40] Perraut (wie Anm. 19), 59ff., 238.– N. Quenée: L’Hôpital Notre-Dame de Fontenilles à Tonnerre, La Pierre qui vire 1979.– Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth: Die lothringische Skulptur des 14. Jahrhunderts, Petersberg 2005, Kat.-Nr.164.
[41] Brückle 2000 (wie Anm.7), 421f.
[42] Robert Branner: St. Louis and the Court Style in Gothic Architecture, London 1968.
[43] Robert Suckale: Peter Parler und das Problem der Stillagen, in: Katalog der Ausstellung: Die Parler und der Schöne Stil 1350‑1400, Europäische Kunst unter den Luxemburgern, hg. von Anton Legner, Bd.4: Internationales Kolloquium vom 5.-12.3.1979, Köln 1980, 175‑184, wieder abgedruckt in: Robert Suckale: Stil und Funktion. Ausgewählte Schriften zur Kunst des Mittelalters, hg. von Peter Schmidt und Gregor Wedekind, München und Berlin 2003, 22008, 257-286]. - Ders.: Stilgeschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Probleme und Möglichkeiten, in: Bruno Klein / Bruno Börner (Hg.): Stilfragen zur Kunst des Mittelalters, Eine Einführung, Berlin 2006, 271-28.
[44] Wolfgang Schenkluhn: Architektur der Bettelorden.Die Baukunst der Dominikaner und Franziskaner in Europa, Darmstadt 2000.– Ludwig folgt hierin dem Vorbild seines Großvaters Philipp II. Augustus; s. Dieter Kimpel / Robert Suckale: Die gotische Architektur in Frankreich 1130‑1270, München 21995, 214ff.– In der Goldschmiedekunst ist eine analoge Unterscheidung möglich zwischen dem aufwändigen Dornenkronenreliquiar im Kathedralschatz von Pamplona und dem äußerst schlichten Exemplar im Kirchenschatz von St.-Maurice d’Agaune/CH; J. Martínez de Aguirre: Los relicarios góticos del Santo Sepulcro (siglo XIII) y de la Santa Espina (siglo XV) de la catedral de Pamplona, in: Principe de Viana 63 (2002), 295-325.

[45] Um Platz für die Ecole Polytechnique zu schaffen, wurde das Kolleg im Jahr 1811 abgerissen, die Kapelle 1845. N.M. Troche, Ancienne Chapelle du Collège de Navarre, in: Revue Archéologique 1 (1844), 192-200.– Gorochov (wie Anm. 27), 152ff. Über Holztonnen s. Johannes Cramer :###
[46] A. Koehn: Das weibliche Schönheitsideal in der ritterlichen Dichtung, Greifswald 1930.– Roland Recht: Le portrait et le principe de réalité dans la sculpture. Philippe le Bel et l’image royale, in: Hermann Fillitz u.a. (Hg.): Akten des 25. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte, Wien 1983, Bd.6, Europäische Kunst um 1300, Wien 1986, 189-202.– Robert Suckale: Die Porträts Kaiser Karls IV. als Bedeutungsträger, in: Martin Büchsel / Peter Schmidt (Hg.): Das Porträt vor der Erfindung des Porträts, Mainz 2003, 191-204; s.a. die anderen Aufsätze in diesem Band.
[47] Montfaucon (wie Anm.10).
[48] Nach Gorochov (wie Anm. 27), 198.– Perraut (wie Anm. 19), 129; S. 192 nimmt sie an, dass es sich um eine Statue Ludwigs X. gehandelt habe. Das ist allein schon wegen des Gebrauchs eines Ehrentitels des hl. Ludwig in der Inschrift ausgeschlossen.
[49] Paris, BnF, ms. nouv. acq. lat. 3145; s. Margaret M. Manion: Women, Art and Devotion: Three French Fourteenth Century Royal Prayer Books, London 1988, 21-66. Dieselbe modische Tracht trägt Alips de Mons in Ecouis. Régnier gibt verschiedene Belege für eine Datierung um 1330 (wie Anm. 4).
[50] Peter Wick: Das Straßburger Münster. Untersuchungen über die Mitwirkung des Stadtbürgertums am Bau bischöflicher Kathedralkirchen im Spätmittelalter, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 107 (1959), 40-113, hier 61ff .– Der Fürst der Welt und seine Begleiterin sind älter und von anderer Hand als die folgenden beiden Törichten Jungfrauen.
[51] Kimpel/Suckale (wie Anm. 41), 231-234.– Beispiel eines derartigen Kleidererlasses s. H. Duplès-Agier: Ordonnance somptuaire inédite de Philippe le Hardi, in: Bibliothèque de l’Ecole des Chartes 15 (1854), 176-181.
[52] Vgl. das Stifterinnenbild des späten 13. Jahrhunderts auf fol. 252v im Psalter der Vicomtesse Yolande von Soissons in der Pierpont Morgan Library, New York M 729, in: Kat. der Ausst. Treasures from Medieval France, Cleveland 1967, 168f.
[53] Robert Suckale: Maria. Jungfrau – Mutter – Königin, in: Katalog der Ausst.: Schöne Madonnen am Rhein, Bonn, Rheinisches Landesmuseum, 2009-2010, 24-37.
[54] Suckale 2002 (wie Anm. 24) , 123-171.
[55] Sobald ein Körperteil anatomisch korrekt wiedergegeben ist, kann es nicht zur Epoche der Gotik gehören.
[56] Zu Sinn und Geschichte der Ansichtigkeit gotischer Skulpturen s. Dieter Kimpel: Die Querhausarme von Notre-Dame zu Paris und ihre Skulpturen, Diss. Bonn 1971, bes. 155ff., 174ff.– Robert Suckale: Die Bamberger Domskulptur. Technik, Blockbehandlung, Ansichtigkeit und die Einbeziehung des Betrachters, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst 38 (1987), 27‑82; wieder abgedruckt in: Stil und Funktion (wie Anm. 40), 175-253, hier: 201ff.
[57] Michael Viktor Schwarz: Höfische Skulptur im 14. Jahrhundert. Entwicklungsphasen und Vermittlungswege im Vorfeld des Weichen Stils, Worms 1986, 94-96 hat als erster die Figur angemessen gewürdigt und richtig eingeordnet.– Françoise Baron im Kat. Paris 1998 (wie Anm. 17), 82-83 bestätigt die Datierung.-– Willibald Sauerländer: Notizen aus der Ausstellung: L’art au temps des rois maudits. Philippe le Bel et ses fils 1285-1328, in: Kunstchronik 52 (1998), 19-29.– Zu den drei Engeln mit den Arma Christi an der inneren Süd-Querhauswand der Kathedrale in Amiens s. Dieter Kimpel / Robert Suckale: Die Skulpturenwerkstatt der Vierge Dorée am Honoratusportal der Kathedrale von Amiens, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 36 (1973), 217‑265, bes. 248.
[58] Zur Nachfolge dieser Gebärde s. Suckale (wie Anm. 50), 144-147.
[59] Leider hat sich die Idee des Archäologen Gerhard Neumann: Gesten und Gebärden in der griechischen Kunst, Berlin 1965, zwischen der spontanen Gebärde und der gewollten, bedeutungsgeladenen Geste zu unterscheiden, nicht durchgesetzt.
[60] Thomas von Aquin: Summa Theologiae, secunda secundae, quaestio 83, articulus 5 und 84, articulus 2.– Jean-Claude Schmitt: La raison des gestes dans l’Occident médiéval, Paris 1990.- Klaus Schreiner: «Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes» (Osculetur me osculo oris sui, Cant 1,1). Metaphorik, kommunikative und herrschaftliche Funktionen einer symbolischen Handlung, in: Hedda Ragotzky (Hg.): Höfische Repräsentation. Das Zeremoniell und die Zeichen, Tübingen 1990, 89-132.
[61] Diese Formulierung ist dem Salve Regina-Hymnus an die Schutzmantelmadonna entnommen. Dass dies eine Geste des Bergens und Beschützens ist, beweist das um 1260 entstandene Relief der Flucht nach Ägypten an der westlichen Innenfassade der Kathedrale von Reims; dort ist Maria mit der Geste der Nordquerhaus-Madonna dargestellt; s. Peter Kurmann: La façade de la cathédrale de Reims, Architecture et sculpture des portails. Etude archéologique et stylistique, 2 Bände, Lausanne 1987, Abb. 514.
[62] Willibald Sauerländer: Storicismo e classicismo nel gotico settentrionale intorno al 1300, in: Roma Anno 1300, Rom 1983, 861-873. Brückles Arbeiten (wie Anm. 7, 24) leiden unter ‚Aktuarsrealismus‘ (Egon Friedell), der nur das als existent anerkennt, was er in Büchern und Akten aufgelesen hat.
[63] Jules Viard: La cour (curia) au commencement du XIVe siècle, in: Bibliothèque de l’Ecole des Chartes 77 (1916), 74-87.– Peter Ganz: Der Begriff des «Höfischen» bei den Germanisten, in: Wolfram-Studien 4 (1977), 16-32.– Klaus Schreiner: ‚Hof‘ (curia) und ‚höfische Lebensführung‘‘ (vita curialis) als Herausforderung an die christliche Theologie und Frömmigkeit, in: Gerd Kaiser und Jan-Dirk Müller (Hg.): Höfische Literatur, Hofgesellschaft, Höfische Lebensformen um 1200, Düsseldorf 1986, 67-139.
[64] Kimpel /Suckale (wie Anm. 41), 23 und passim.
[65] Kimpel /Suckale (wie Anm. 41) 369.
[66] Eine Stiftung Ludwigs V III. und der Blanca von Kastilien, errichtet binnen acht Jahren von 1228-1236; s. Kimpel /Suckale (wie Anm 41), 223, 230.
[67] Zur Madonna aus Poissy s. Suckale (wie Anm. 24), 148-161; zur Kirche in Poissy und ihrer Ausstattung: Robert Branner: St. Louis and the Court Style in Gothic Architecture, London 1968, 87,135-137. - Alain Erlande-Brandenburg: La priorale Saint-Louis de Poissy, in: Bulletin Monumental 129 (1971), 85-112. - René Gaborit: Les „Anges de Poissy”, in: Revue du Louvre 48 (1998), 29-40. - Suzanne Moreau-Rendu: Le prieuré Royal de Saint-Louis de Poissy, Colmar 1968. - Francis Salet: La sculpture à Paris sous Philippe le Bel, in: Documents Archéologiques 3 (1973), 42-52. - Elisabeth Lalou (wie Anm. 61), bes. 150-153. - Michael V. Schwarz (wie Anm. 53), 85-101. - Max Seidel: La scoperta del sorriso. Vie di diffusione del gotico francese, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz 51 (2005), 45-148.- Markus Schlicht: Un `scandale’ architectural vers 1300 – l’intervention de Philippe le Bel dans les choix formels de l’architecture de Saint-Louis de Poissy, in: Christian Freigang und Jean-Claude Schmitt (Hg.): Hofkultur in Frankreich und Europa im Spätmittelalter. La culture de cour en France et en Europe à la fin du Moyen Âge, Berlin 2005 (Passagen/Passages. Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Centre allemand d’histoire de l’art 11), 289-325.– Elisabeth Lalou: Les abbayes fondées par Philippe le Bel, in: Revue Mabillon 63 (1991), 143-165, hier 147-151. Auf dieses Zitat in den Archives Nationales in Paris (J 403, Nr. 17-17ter) machte mich dankenswerterweise Elisabeth Brown aufmerksam.– Es gibt also zumindest eine bewusste Unterscheidung des Aufwandes für Verzierung.
[68] Brown 1988 (wie Anm. 24). Ihm das vorzuwerfen, ist naiv. Heute hat jeder halbwegs mächtige Politiker seinen Pressesprecher.
[69] Lalou (wie Anm. 64). Es sei jedoch nicht verschwiegen, dass die Abteien in Philipps liebsten Jagdrevieren errichtet wurden.
[70] Einfühlend und vorsichtig ist die Beurteilung des Königs in: Elizabeth A.R. Brown: The Prince is Father of the King. The Character and Childhood of Philip the Fair of France, in: Mediaeval Studies 49 (1987), 282-354; Dies.: Persona and Gesta. The Image and Deeds of the Thirteenth Century Capetians, 3: The Case of Philip the Fair, in: Viator 19 (1988), 219-246.
[71] Während es gute Studien über das Mäzenatentum einiger Mitglieder der Dynastie gibt, harrt die Stiftungstätigkeit der Räte bisher der Erforschung, außer Enguerran de Marigny (wie Anm. 4).
[72] Françoise Baron: Enlumineurs, peintres et sculpteurs parisiens des XIIIe et XIVe siècles d’après les rôles de la taille, in: Bulletin archéologique du Comité des travaux historiques et scientifiques 4, 1968, 37-121.
[73] Kat. Paris 1998 (wie Anm. 18), 193-195.
[74] Ich übergehe die Goldschmiedearbeiten, Siegel und die Schöpfungen der anderen Luxuskünste, und zwar im Bewusstsein, dass sie wahrscheinlich der damaligen Gesellschaft wichtiger waren als alle Skulpturen; s. dazu Kat. Paris 1998 (wie Anm. 18), 169ff.

[75] Kat. Paris 1998 (wie Anm. 18), 60-61 (Françoise Baron). Die Eichenholz-Madonna war nur kurzzeitig im Ursulinenkonvent in Abbéville, zuvor aber in der Dorfkirche von Wargnies (Somme). Françoise Baron vermutet deshalb ihre Herkunft aus der benachbarten Abtei Bertheaucourt-les-Dames. Zu dieser Figur.– Über die Statuette aus der Slg. Fitzhenry, jetzt im Rijksmuseum in Amsterdam s. Raymond Koechlin: Les ivoires gothiques français, 3 Bde., Paris 1924, Nr. 9.
[76] Über das elfenbeinerne Gnadenbild „Notre Dame de Groeninghe“ in St.-Michel in Courtrai Suckale (wie Anm. 24), 123–171, hier: 127-130. Ursprüngliche Besitzerin war Béatrice, Dame von Courtrai, Patin der französischen Königin, Tochter des Herzogs von Brabant.
[77] Im Katalog der Ausstellung: „Hay más en ti“, imágines de la mujer en la Edad Média (siglos XIII-XV), Bilbao, Museo de Bellas Artes 2011, 212-221 habe ich auf S. 212-215 eine Holzmadonna im Museum Bilbao besprochen, die dem Stil dieser Gruppe nahesteht. Bisher hat wohl noch niemand danach gefragt, was die Königin von Navarra in ihrem eigenen baskischen Herrschaftsbereich gestiftet haben könnte. ####
[78] Die Statuette ist insbesondere beim Kind an vielen Stellen ergänzt und überarbeitet, im Wesentlichen aber korrekt. Robert Didier: Contribution à l'étude d'un type de Vierge française du XIVe siècle, in: Revue des Archéologues et Historiens d'Art de Louvain 3 (1970), 48-72. – Suckale (wie Anm. 50), 123-171, bes. 152ff. - Die Echtheit wurde u.a. angezweifelt von Peter Bloch: Neugotische Statuetten des Nikolaus Elscheid, in: Festschrift Otto v. Simson, Frankfurt/M. 1977, 504-515.
[79] Suckale 2012 (wie Anm. 24).
[80] Jean Bony: La collégiale de Mantes, in: Congrès Archéologique 104 (1947), 163-220, bes. 211ff.- Philippe Plagnieux: Entre piété des fidèles et conscience civique: Le portail des échevins, in: Mantes médiévale (wie Anm. 14), 128-153.
[81] Kat. Paris 1981 ##### (wie Anm. 15), S. 67, Nr. 8 (Françoise Baron). Die 65 cm große Statuette heute im Musée des Beaux-Arts in Arras.
[82] Zu diesem Motivzitat s. Suckale (wie Anm. 50), 160-161.
[83] Gillerman (wie Anm. 4), 42, 92-94. - Roland Recht: Motive, Typen, Zeichnung. Das Vorbild in der Plastik des Spätmittelalters, in: Friedrich Möbius u.a. (Hg.): Skulptur des Mittelalters. Funktion und Gestalt, Weimar 1987, 354-384. - Zur Figur in Salins s. Kat. Paris 1998 (wie Anm. 18), 76f. -
[86] Manche Werke werden fälschlich mit der Königin Johanna in Verbindung gebracht. So ist das Heilig-Grab-Reliquiar im Domschatz von Pamplona, das in Wirklichkeit ein Dornenkronen-Reliquiar ist, lange Zeit als Stiftung Philipps IV. und Johannas angesehen worden. Doch ist es nach neueren Forschungen ein Geschenk des Königs Theobald II. von Navarra (alias Thibaud de Champagne) wohl vor 1258 an den Domschatz von Pamplona.J. Martínez de Aguirre: Los relicarios góticos del Santo Sepulcro (siglo XIII) y de la Santa Espina (siglo XV) de la catedral de Pamplona, in: Principe de Viana 63 (2002), 295-325. Das Datum erscheint mir nicht ganz zwingend zu sein, da der Autor es u.a. mit der Ähnlichkeit mit dem Baldachin der Sainte-Chapelle begründet. Der wird jedoch von einigen Forschern später angesetzt. Das Datum ante quem ist der Tod Theobalds im Jahre 1270. Dieses Reliquiar ist ein wertvoller Zeuge für die Art von Kunst am Hofe Ludwigs des Heiligen, die man unter seinem Enkel besonders schätzte und nachahmte, so z.B. im Reliquiar in S. Domenico in Bologna.
[87] Bodo Buczynski: Wenn kunsthistorische Interpretation und technologische Befunde in die Irre führen – die sogenannte „Luxuria-Gruppe“ der Berliner Skulpturensammlung, in: Jahrbuch der Berliner Museen 43 (2001), 346-358, 1962 von den Berliner Museen erworben. Die Ludwigsgruppe wurde der Skulpturensammlung 1963 für 600.000 DM angeboten. Das Museum hätte das Werk gern als Gegenstück zur Minnegruppe erworben. Der derzeitige Aufbewahrungsort ist unbekannt.
[88] Buczynski (wie Anm. 84), hier: 349. Die Gruppe ist im Wesentlichen aus einem einzigen Block Eichenholz geschnitten und 146 cm groß, 62 cm breit und zwischen 29 und 62 cm tief. Eine andere verlässliche, aber weniger genaue Methode ist die Untersuchung des Anteils des radioaktiven Kohlenstoffisotops C 14, das sich in messbaren Abständen verringert.
[89] Derartige Bilddokumente werden leider in den gängigen Ausstellungskatalogen, wie z.B. dem Kat. der Ausstellung: Eugène Atget, Retrospektive, Berlin 2007, nicht reproduziert.
[90] Etienne Boileau: Le Livre des Métiers, hg. von René de Lespinasse/ Henri Bonnardot, Paris 1879, 16f.- Über Ludwigs Kreuzzug ins Heilige Land s. Jacques Le Goff : Saint Louis, Prais 1996, 199 ff,
[91] Buczynski (wie Anm. 85), 349f. Wolfgang Müller-Wiener: Burgen der Kreuzritter im Heiligen Land, auf Zypern und in der Ägäis, München 1966 hat das Werk als Finale seines Tafelteils reproduziert.
[92]Eine Aufzählung der zu dieser Gruppe gehörenden Skulpturen bei: Jiří Fajt / Robert Suckale: Der „Meister der Madonna von Michle“ – Das Ende eines Mythos? Mit einem Anhang zur „neuen“ Löwenmadonna der Prager Nationalgalerie, in: Umění 54 (2006), 3-30, Sie ist zu ergänzen durch das Madonnenfragment aus der Slg. Blumenthal im Metropolitan Museum in New York; es orientiert sich an der Statue der Magd Mariens am linken Gewände der Westfassade der Reimser Kathedrale (Kat. der Ausstellung: Medieval Art in America. Patterns of Collecting 1800-1940, hg. von Elizabeth Bradford Smith, Pennsylvania State University 1996, Nr. 69). Auffällig ist die stilistische Homogenität bei weitgehender Divergenz der als Vorbilder benutzten Werke. Aus dem Nachlass des Kölner Bildhauers und Restaurators Richard Moest gelangten mehrere Figuren dieser Machart ins Aachener Museum, ein nach dem Vorbild des Hochstaden-Grabmals gearbeiteter Erzbischof (SK 334), eine Madonna (SK 331), eine hl. Katharina (SK 312) und ein Engel (SK 246). Dass all diese stilistisch homogenen Bildwerken von Moest angekauft worden seien, ist auszuschließen. Da die Luxuria-Gruppe wie der hl. Ludwig von derselben Hand stammen, sich ihr Autor in einer für französische und niederländische Bildschnitzer ungewöhnlichen Weise in der deutschen Skulptur auskennt, liegt die Zuschreibung der ganzen Werkgruppe an den Kölner Richard Moest auf der Hand. Dagmar Preising, Michael Rief, Ulrike Villwock: Skulpturenkatalog des Suermondt-Ludwig-Museums, Teil I: Bildwerke des Köln-Lütticher Raumes 1180-1430, in: Aachener Kunstblätter 62 (1998-2002), 11-174, bes. 149-159. Leider drücken sich die Autoren des Ausstellungskataloges: Collectionieren, Restaurieren, Gotisieren. Der Bildschnitzer Richard Moest 1841-1906, hg. von Dagmar Preising, Suermondt-Ludwig-Museum Aachen 2006 um die Behandlung dieser delikaten Frage. Dabei scheint es ein Fall nach dem Muster von Dr. Jekyll und Mister Hyde zu sein.
[93] Die Gruppe des Kreuzfahrers und seiner Frau aus Belval, jetzt im Musée Lorrain in Nancy, s. Kat. der Ausst.: La France Romane, Paris, Louvre 2005,Nr. 107.
[94] Der von Peter Metz als Gegenargument angeführte Zyklus der Tugenden und Laster in Giottos Ausmalung der Arenakapelle in Padua sticht nicht, da es sich immer um Personifikationen handelt, die obendrein durch die Grisaillemalerei und die Platzierung hinreichend abgestuft sind. - Ein analoger Fall von formal perfekten, aber kulturgeschichtlich irrigen Fälschungen sind die von dem in seiner Künstlereitelkeit verletzten Restaurator Lothar Malskat geschaffenen Wandmalereien im Dom zu Schleswig. Immerhin ging ihm ein Kenner wie Alfred Stange auf den Leim; s. Ders.: Der Schleswiger Dom und seine Wandmalereien, Berlin 1940.
[95] Willibald Sauerländer: Die kunstgeschichtliche Stellung der Westportale von Notre-Dame in Paris, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 17 (1959), 1-56, bes. 7f. - Die eigenartigen Kanneluren neben den Lastern finden ihr Vorbild in der Plinthenverzierung des älteren Westportals der Stiftskirche in Mantes.
[96] Der Löwe kann als König der Tiere gerade in der Feudalgesellschaft auch ein positives Symbolwesen sein, selbst in der religiösen Ikonographie, wie z.B. beim Thron Salomonis.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen